Eine Frage der Zeit
fünfstellige Preise.
„Ich glaube, es lohnt sich, für ein Kunstwerk zu sparen“, entgegnete Marcks mit Bestimmtheit. „Und außerdem ist es doch bei allen schönen und teuren Dingen so, dass man sich entscheiden muss, worauf man verzichtet, um sie sich leisten zu können.“
„Für ein paar Quadratmeter bunt bemalter Leinwand würde ich auf gar nichts verzichten“, brummte Velten.
„Dafür nicht, aber für einen schönen Oldtimer aus den fünfziger Jahren schon. Jeder hat eben sein spezielles Steckenpferd.“
„Sie interessieren sich für Kunst?“
„Ja, sehr“, antwortete sie begeistert. „Das ist wahrscheinlich genetisch bedingt. Meine Mutter ist Lehrerin für Bildende Kunst an einem Gymnasium in Mainz und eine großartige Malerin. Leider habe ich das Talent nicht von ihr geerbt. Ich komme mehr nach meinem Vater. Er hat lange als Studiomusiker gearbeitet.“
„Welches Instrument spielen Sie?“
„Leidlich Saxophon, außerdem Klavier und Gitarre. Ich bin allerdings etwas eingerostet.“
Bevor Velten etwas antworten konnte, tauchte die dünne Blonde wieder auf: „Herr Linaud erwartet Sie“, sagte sie mit nöliger Stimme. „Ich werde Sie zu ihm bringen.“
Sie erhoben sich und folgten der jungen Frau durch den Verkaufsraum. Ein schmaler Gang führte zum Büro des Galeristen. Als sie den großen und mit edlen Möbeln bestückten Arbeitsraum betraten, erhob sich Linaud von seinem ausladenden gläsernen Schreibtisch und kam ihnen mit ausgebreiteten Armen entgegen: „Ah, Frau Marcks und Herr Velten aus Waldenthal. Herzlich willkommen in meiner kleinen Galerie.“
Sein Akzent verriet ihn sofort als Lothringer. Er war ein sportlich wirkender und elegant gekleideter Endvierziger mit dunklem, an den Schläfen ergrautem Haar, das er sehr kurz trug. Sein sorgfältig gestutzter Bart verlieh seinem aristokratischen Gesicht eine verwegene Aura, die durch eine etwa drei Zentimeter lange Narbe unter dem linken Jochbein noch unterstrichen wurde. Er zählte zu den Menschen, die sofort im Mittelpunkt standen, wenn sie einen Raum betraten.
Nach dem Händeschütteln nahmen sie an einem ovalen Besprechungstisch Platz. „Was darf ich Ihnen anbieten? Ich trinke um diese Zeit gerne einen japanischen Matcha-Tee, aber Yvonne macht auch einen hervorragenden Latte Macchiato.“
„Ich nehme auch einen Tee“, antwortete Marcks. Velten hatte keine Ahnung, was Matcha-Tee war und wollte sich nicht die Blöße geben, danach zu fragen. Also entschied er sich für Yvonnes italienischen Milchkaffee.
In diesem Moment klingelte Veltens Handy. Auf dem Display erschien der Name von Dieter Kreutzer. „Stört es Sie, wenn ich das Gespräch annehme? Ich warte dringend auf den Rückruf meines Chefredakteurs.“
„Natürlich nicht“, sagte Linaud.
Velten verließ das Büro und nahm den Anruf auf dem Flur entgegen: „Wir müssen dringend über Elke Volkmer sprechen. Sie waren nicht aufrichtig zu mir.“
„Ich dachte mir schon, dass Sie früher oder später dahinte rkommen würden“, antwortete Kreutzer mit matter Stimme. „Das Thema eignet sich nicht für ein Telefonat. Lassen Sie uns persönlich über die Sache reden.“
„Ich habe jetzt noch in Saarbrücken zu tun, werde aber gegen siebzehn Uhr wieder in Waldenthal sein.“
„Gut, kommen Sie zu mir nach Hause. Dort sind wir ungestört.“ Sie beendeten das Gespräch und Velten ging zurück ins Büro des Galeristen.
„Wir sprechen gerade über den Tod von Elke Volkmer“, erklärte ihm Marcks. Sie hatte wie üblich ihren Tablet vor sich liegen und machte sich Notizen. Wenn Velten mit ihr unterwegs war, konnte er getrost auf eigene Mitschriften verzichten.
Linaud nickte traurig: „Ich erfuhr heute Morgen davon. Einer meiner Kunden, der in Waldenthal wohnt, hat im Radio von dieser Tragödie gehört und mich angerufen. Er sagte, Elke habe sich selbst das Leben genommen. Ist das richtig? Ich war schockiert, als ich es erfuhr. Sie war so eine engagierte und kunstsinnige Frau. Ich hätte nie geglaubt, dass Sie sich etwas antun könnte.“
„Wie gut kannten Sie sie“, wollte Marcks wissen.
„Recht gut. Sie entdeckte meine Galerie zufällig vor etwa zwei Jahren bei einem Einkaufsbummel in Saarbrücken. Sie schaute herein und so kamen wir ins Gespräch. Wir fanden schnell heraus, dass wir die gleichen Künstler mochten. So kam eins zum anderen. Bei ihrem nächsten Besuch schlug sie mir vor, in ihrer Praxis gewissermaßen eine Außenstelle der Galerie einzurichten.
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