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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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du bitte Martin Buber aus dem Spiel lassen?«
    Bernie blickte sie an, erschrocken über den heftigen Ton. Honor schüttelte verzweifelt den Kopf.
    »Da spricht mal wieder die Nonne aus dir.«
    »Das hat Tom auch immer gesagt.« Bernies Blick verlor sich in der Ferne. Das goldene Licht schien in der Luft zu verharren, angefüllt mit Staubpartikeln, Pollen und salziger Gischt. Sie hörte, wie sich die Wellen unmittelbar hinter dem Hügel am Strand brachen.
    »Womit er den Nagel auf den Kopf getroffen hat«, erklärte Honor. »Manchmal siehst du alles durch das Prisma der geistigen Mächte und des Intellekts. Diese rosarote Brille trennt dich vom wirklichen Leben, von den Grabenkämpfen, die wir gemeinen Sterblichen in diesem irdischen Jammertal ausfechten müssen.«
    »Glaub mir, im Moment habe ich das untrügliche Gefühl, mich selber in diesem Jammertal zu befinden.«
    »In welcher Hinsicht, Bernie? Du hast kaum über die Reise geredet, seit du wieder zu Hause bist. Meinst du die Begegnung mit deinem Sohn? Oder dass du zwei Tage lang den Habit abgelegt hast?«
    »Woher weißt du das?« Bernies Kopf fuhr herum. Sie sah Honor prüfend an.
    »Tom hat es John erzählt.«
    »Ich dachte, du weißt nicht, wo er steckt.«
    »Weiß ich auch nicht. Das war, bevor er fortgegangen ist. Am ersten Tag nach eurer Rückkehr oder so, als er seine Sachen gepackt hat.«
    »Was hat er gesagt?«
    »John ist zu ihm gegangen, weil er wissen wollte, was los ist. Tom hat ihm von Seamus und St. Augustine’s erzählt und von einer Nonne, die er deine Nemesis nannte …«
    »Eleanor Marie.«
    »Genau. Und er hat gesagt, dass du deinen Habit nicht mehr getragen hast, als es euch endlich gelungen war, Seamus’ Akte in euren Besitz zu bringen. Er meinte, er hätte dir angesehen, dass du deine Gelübde in Frage stellst. Mehr nicht. Und dass es dir klargeworden ist.«
    »Was soll mir klargeworden sein?«, flüsterte Bernie.
    »Dass du mit ihm zusammen sein willst. Mit beiden, genauer gesagt, mit Tom und Seamus.«
    Bernie schüttelte den Kopf. »Er hat sich geirrt.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Es gibt kein Zusammensein mit Seamus. Er ist erwachsen. Er braucht weder Vater noch Mutter, die ihm sagen, wo’s langgeht. Das weiß er bereits.«
    »Das meinte Tom auch nicht«, erwiderte Honor leise. »Es ging nicht um das, was möglich sein könnte, sondern um das, was du dir wünschst. Das sind zwei Paar Stiefel, Bernie. Begreifst du das nicht?«
    Natürlich begriff sie das. Sie verstand nur zu gut den Unterschied zwischen einem tiefen Bedürfnis und der Realität des Lebens. Im Lauf der Jahre, wenn ihre Schülerinnen, Nonnen oder spirituellen Schutzbefohlenen mit einem Problem zu ihr kamen, weil sie sich in einem Dilemma befanden, sich den Kopf über die beängstigenden und wunderbaren Wahlmöglichkeiten im Leben zerbrachen, riet sie ihnen stets, in sich hineinzuhorchen.
    Das war ihre Überzeugung, ihre Botschaft als Ordensfrau und Kind Gottes: Es galt, in sich hineinzuhorchen und auf das eigene Herz zu hören. Auf diesem Weg pflegte Gott Verbindung zu den Menschen aufzunehmen. Er sprach in der Tiefe ihres Herzens zu ihnen, und es kam nur selten vor, dass er sich in brennenden Dornbüschen, auf Berggipfeln, in Blauen Grotten oder Marienerscheinungen offenbarte.
    Bernies Kehle war wie zugeschnürt, als sie sich daran erinnerte, wie sie am Abend vor seiner Abreise an Toms Cottage vorbeigegangen war. Am anderen Ende des Grundstücks gelegen, blickte man von dort auf die Salzsümpfe und Flussufer hinaus. Die Fenster waren weit geöffnet, und sie war stehen geblieben und hatte gesehen, wie er seine Kleider zusammenfaltete, seine Bücher aus den Regalen nahm, seine Papiere in einem Karton verstaute. Sie hatte gezögert. Sie wusste nicht, was sie ihm sagen, wie sie ihn bitten sollte zu bleiben.
    Sie war untröstlich. Vor dreiundzwanzig Jahren, als sie die Entscheidung getroffen hatte, hierherzukommen, um als Novizin in die Ordensgemeinschaft einzutreten, war Tom an ihrer Seite gewesen, als ruhender Pol, hatte sie unterstützt und in dem Glauben bestärkt – auch wenn er ihn vielleicht nicht teilte –, dass sie triftige Gründe dafür hatte.
    Nun war er offenbar an seine Grenze gelangt. Die Kraft, die es ihn gekostet haben mochte, in ihrer Nähe zu bleiben und ihr die Möglichkeit zu geben, ihren eigenen Weg zu finden, war erschöpft. Oder er hatte neue Kraft gefunden – in der Überzeugung, es sei an der Zeit, seine Zelte abzubrechen.
    »Bernie, Tom

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