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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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und ihren Sprösslingen wieder nach Rhinebeck, da die kleine India in den Kindergarten kam. Und Bobby, der Chauffeur, war ins Kutschenhaus gezogen, was Kathleen nur recht war. Vor einem Monat war er ins Dachgeschoss gewankt, so volltrunken, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte, und in ihr Zimmer eingedrungen, das er angeblich mit seinem eigenen verwechselt hatte. Sie hatte sich den Kerl problemlos vom Leibe gehalten – mit einer Lampe, die ihn an der Seite des Kopfes traf – und ihm die lüsternen Gedanken ausgetrieben. Er hatte seine Lektion gelernt.
    Als sie den Wind pfeifen hörte, der durch den Spalt unter ihrer Tür drang, hatte sie das Gefühl, als riefe jemand ihren Namen. Die »Stimme« kam aus dem Raum hinter der mit Brettern vernagelten Tür am anderen Ende des Korridors. In dieser Kammer hausten die Familiengespenster, wie sie wusste. Sie hatte ein- oder zweimal versucht, einen Blick auf den unheimlichen Ort zu erhaschen. Auf diese Weise war es ihr gelungen, die Wahrheit über Louise zu erfahren. Als sie Pierce nach ihr gefragt hatte, hatte er mit einem kalten Blick reagiert und sie drei Tage lang geflissentlich übersehen. Aber Kathleen hatte an einem freien Nachmittag auf eigene Faust Nachforschungen angestellt. Sie hatte eines der Bretter gelockert, sich durch die Lücke gequetscht und sich somit Zutritt zur geheimen Kammer auf dem Dachboden verschafft …
    Doch die Stimme, die sie heute Abend vernahm, gehörte weder Louise noch einem anderen Mitglied der Familie Wells. Es war ein Geist aus ihrer eigenen Vergangenheit. Sie hätte schwören können, dass es seine Stimme war, die ihren Namen rief, zu ihr getragen vom Wind, der leise pfeifend durch die Risse im Mauerwerk drang. Sie spürte, dass er zu ihr kommen würde – er hatte nie aufgehört, sich nach ihr zu sehnen, so wie sie sich nach ihm. Ihre Nackenhaare sträubten sich, doch statt sich enger in die Decke einzuwickeln, sprang sie aus dem Bett und riss die Zimmertür auf.
    »James!«, flüsterte sie. Sie spähte rechts und links den dunklen Korridor entlang, sich ganz sicher, dass sie seine Stimme gehört hatte.
    Aber er war nirgends zu sehen. Sie stand reglos da in ihrem weißen Nachthemd, erneut nach rechts und links Ausschau haltend. Ihre Sinne waren geschärft. Das war schon immer so gewesen, seit der Zeit im Kinderheim St. Augustine’s. Schwester Anastasia hatte sie oft aus dem Bett genommen und manchmal in den Armen gewiegt. »Warum bist du noch wach, Kind?«, hatte sie in ihr Ohr geflüstert. »Nach wem hältst du Ausschau?«
    Schwester Anastasia hatte gesagt, sie sei wachsam. Kathleen wusste, dass sie recht hatte. Sie war stets auf der Hut. Ihr entging nichts. Wenn etwas geschah, dann nur deshalb, weil sie es wollte.
    Meistens jedenfalls.
    Während sie im zugigen Korridor stand, fragte sie sich, ob Pierce heute Nacht zu ihr kommen würde. Die Familie würde noch ein paar Tage in Newport bleiben, bevor sie nach Palm Beach aufbrach, um dort zu überwintern. Treuhandfonds konnten ein Fluch oder ein Segen sein, je nachdem, aus welcher Warte man es betrachtete. Sie erlaubten ausgewachsenen Männern, für immer und ewig kleine Jungen zu bleiben. Kathleen, die vor Kälte zitterte, wusste, dass es in den unteren Räumen wärmer war – jedes Schlafzimmer besaß eine Heizung, die dafür sorgte, dass es warm und gemütlich war.
    Manchmal wünschte sie sich, Pierce würde sie in sein Bett mitnehmen und bei ihm übernachten lassen, in der anheimelnden Wärme des Federbetts, statt hier oben zu frieren. Sie hätte sich leicht noch vor Morgengrauen aus seinem Zimmer stehlen und ins Dachgeschoss zurückkehren können, bevor seine Eltern aufwachten. Doch bis auf das erste Mal waren sie nie in seinem Schlafzimmer zusammen gewesen. Er schlich zu ihr, wann immer er das Bedürfnis verspürte – ohne Sinn und Verstand, ohne Vorausplanung, ohne ein liebevolles Wort. Er tauchte im Schutz der Dunkelheit auf, wälzte sich auf sie, küsste sie mit geschlossenen Augen und erledigte, weswegen er gekommen war.
    Als sie in dem schummrigen Korridor stand, hasste sie sich dafür, dass sie immer noch romantische Vorstellungen in Verbindung mit einem solch offensichtlichen Schuft hegte. Doch wie sie Andrew einmal gestanden hatte, glaubte sie an Märchen. Nicht solche, in denen die arme Dienstmagd den Prinzen bezirzte, wenn sie hübsch, klug und sexy war, oder ihm die geheimen Wünsche erfüllte, die seinen Debütantinnen aus dem Social Register nicht

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