Eine Frage des Herzens
ihre Kammer voraus. Sie litt unter der Kälte, aber noch mehr unter der Einsamkeit. Das schmale Bett quietschte unter ihrem Gewicht. Seine Hände waren weich, als hätte er nie im Leben körperliche Arbeit verrichtet, aber sie berührten sie so grob und gefühllos, als wären sie aus Holz, als würde er nicht spüren, dass sich unter ihrer zarten Haut Knochen und Muskeln befanden.
Er stöhnte auf, küsste sie flüchtig und drang rücksichtslos in sie ein. Sie schrie leise auf; sie war kein bisschen feucht. Das bewog ihn nur, noch härter zuzustoßen. Seine Beine, haarig wie die eines Tieres, zerkratzten ihre Schenkel. Kathleen biss sich auf die Lippe und schloss die Augen, so fest sie konnte.
Es hatte Zeiten in ihrem Leben gegeben, da hatte sie versucht aus der Tiefe ihrer Einsamkeit und Verzweiflung Verbindung mit James aufzunehmen, den Kontakt zu ihm herzustellen, wo immer er auch sein mochte. Doch in solchen Augenblicken tat sie genau das Gegenteil. Sie klammerte ihn bewusst aus ihren Gedanken aus, schlug innerlich eine Eisentür zu, schloss James, Schwester Anastasia und alle Engel und Heiligen aus.
Kathleen löste sich von dem Schmerz, den Pierce’ gleichförmiges Stoßen verursachte, vom Geruch seines Eau de Cologne, vom Klappern der Zähne, die aufeinanderschlugen. Sie konzentrierte sich ausschließlich darauf, die Enge des menschlichen Kontakts, die Wärme eines anderen Körpers zu spüren. Sie nahm die nasse Explosion in ihrem Inneren wahr, schlang die Beine um seine Taille und weinte.
Er deutete die Tränen als Ausdruck der Glückseligkeit, was bewirkte, dass er für einen Augenblick zärtlich wurde. Er umarmte und küsste sie, strich ihr die Haare aus der Stirn und flüsterte ihr zu, sie sei phantastisch. Dann küsste er sie auf die Nasenspitze und zog seine Hosen hoch. Es waren keine Trainingshosen, sondern Hosen von Armani. Kathleen würde sie in seinem Schrank aufhängen, wenn sie morgen früh sein Bett machte.
»Nacht, Baby«, murmelte er, schloss die Tür hinter sich, schlich den Flur entlang, damit seine Mutter ihn nicht hörte, und strebte einem wärmeren Ort zu, seinem eigenen Zimmer.
Er hatte nicht bemerkt, dass Kathleen noch immer weinte, heftiger nun, dass sie lautlos schluchzte, ihr Kopfkissen umklammerte und verrückterweise an eine Babypuppe denken musste, die sie gehabt hatte, eine Puppe mit roten Haaren, die ihre Pflegeeltern in den Müll geworfen hatten.
Sie hielt ihr Kopfkissen umschlungen und dachte an die Puppe statt an James, denn obwohl beide rote Haare hatten, war die Puppe die Einzige, die nicht sehen konnte, dass auch ihr Leben nur noch für den Müll taugte.
20
D ie Anwaltskanzlei Kelly, Walsh und Fitzpatrick spielte eine wichtige Rolle für die Wiederbelebung der Docklands in Dublin und hatte sich deshalb in einem der exklusivsten Büros im brandneuen Global Financial Center einquartiert. Vor die Wahl gestellt, die Kanzlei hierher oder in das gleichermaßen begehrte Custom House Quay aus dem 19 . Jahrhundert zu verlegen, war Sixtus Kelly zu der Ansicht gelangt, dass es für einen Kelly keine echte Konkurrenz zwischen den beiden Standorten gab.
Denn so malerisch und historisch die alten Backsteingebäude auch sein mochten, Sixtus genoss es, ein Büro im obersten Stockwerk dieser kühnen Glasstruktur zu haben. Es hatte Zeiten gegeben, zu denen kein Mensch, der auf sich hielt, auch nur einen Fuß in die Docklands gesetzt hätte. Das heruntergekommene Hafenviertel war dem Verfall preisgegeben, Verbrechen und Lasterhaftigkeit waren an der Tagesordnung. In Ringsend hatten sich Schiffbau-Werften, eine Glasfabrik, die Flaschen für das dunkle Guinness-Bier herstellte, und nach der Großen Hungersnot Getreidemühlen für Import-Weizen angesiedelt.
Andere, unerquicklichere Geschäftsbereiche wuchsen und gediehen. Reihenweise schlossen Firmen, wurden Arbeitsplätze abgebaut. Die Gebäude verfielen oder brannten ab. Dann kam die Regeneration. Sixtus war stolz darauf, seinen Anteil zur Wiederbelebung des Hafenviertels geleistet zu haben. Sein Büro bot einen Ausblick auf die Dublin Bay, und was für eine Bucht das war! Eine malerische, weitläufige Wasserfläche, umfangen vom Howth und Dun Laoghaire. Im 17 . Jahrhundert war sie trügerisch für die Schifffahrt, Stürme fegten über sie hinweg und verursachten zahlreiche Havarien. Den Unwettern des sich nördlich vom Hafen befindenden Stadtteils Clontarf trotzend, lagen die Schiffe dort oft über Wochen fest und warteten darauf,
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