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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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festhalten könnte. Das Einzige, was sie an ihn erinnerte, war die rothaarige Puppe. Sie hatte sie während all der Jahre in St. Augustine’s begleitet und in den ersten Monaten bei ihren leiblichen Eltern. Es war ihr egal, dass sie fast vierzehn war, eigentlich zu alt für eine Puppe. Ihr Vater hatte sie damit gehänselt und sie mehrmals vor ihr versteckt.
    Er hatte gelacht, wenn sie einer Panik nahe war. Sie hatte versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie verzweifelt sie war, weil sie ihre zerlumpte, schmutzige, zu Tode umarmte rothaarige Puppe nicht finden konnte. Sie hatte gehofft, dass er, wenn sie so tat, als wäre es ihr egal, aufhören würde, sie zu verstecken.
    Doch eines Tages, nach dem Umzug von Blackrock nach Cork City, am Tag bevor sie das nötige Geld für den Flug nach Boston beschafft hatten, hatte sie die Wohnung auf der Suche nach ihrer Puppe auf den Kopf gestellt.
    »Wo ist er?«, hatte sie gefragt und befürchtet, den Verstand zu verlieren.
    »Er?«, hatte ihr Vater mit anzüglichem Blick erwidert. »Es ist eine Puppe. Eine
Sie

    »Lass sie in Ruhe«, hatte ihre Mutter gesagt, die das Theater offensichtlich satthatte.
    »Dann eben sie«, hatte Kathleen entgegnet, da sie weder Lust auf einen Streit noch den Wunsch hatte, ihre Eltern zu überzeugen. Sie hatte bereits gelernt, dass es besser war, im Zweifelsfall nur an das eigene Wohl zu denken, wenn man überleben wollte, keine Widerworte zu geben und auf jeden Versuch der Selbstbehauptung zu verzichten.
    »In Ruhe lassen?«, brüllte ihr Vater und ging auf ihre Mutter los. »Zum Teufel noch mal, was fällt dir ein, mir vorzuschreiben, dass ich sie in Ruhe lassen soll? Es war schließlich deine Idee, sie aus dem Heim zu holen. Ein weiteres Maul zu stopfen, Ballast, den wir mit uns herumschleppen, und was tut sie, dieses undankbare Gör? Jammert uns die Ohren voll wegen einer gottverdammten Puppe, obwohl sie weiß, unter welchem Druck ich stehe!«
    »Du hast ja recht, Clement«, hatte ihre Mutter rasch erwidert, um ihn zu beschwichtigen, bevor der Streit ausuferte. »Wir wissen beide, wie belastend es für dich ist, das Geld für die Reise zusammenzubekommen und auch noch die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Das wissen wir, nicht wahr, Kathleen?«
    »Ja«, hatte sie geantwortet, bemüht, ihr zitterndes Kinn und ihre Angst in den Griff zu bekommen. Nicht wegen der Reise nach Amerika oder weil ihre Eltern planten, sich zu später Stunde in die Hotelbar zu begeben und irgendeinen betuchten Mann betrunken zu machen, damit sie seine Brieftasche mitgehen lassen konnten – sein Bargeld und die Kreditkarten. Nein, es ging nur darum, dass ihr Vater ihre Puppe hatte, und die brauchte sie. Brauchte sie, um sich an James zu erinnern, sich bewusst zu machen, dass er immer bei ihr war. Für immer und ewig.
    »Diese gottverdammte stinkende, verlauste, hässliche Puppe«, hatte ihr Vater getobt und sie vom obersten Regalbrett im Schrank heruntergezerrt, an das Kathleen nicht heranreichte, weil es zu hoch war. Sie hatte sich zurückgehalten, denn sie wusste, wenn sie danach griff oder zu eifrig wirkte, hätte ihr Vater sie erneut versteckt und vielleicht nicht mehr zurückgegeben, bevor sie nach Boston flogen. Und sie brauchte ihn, brauchte ihre Puppe.
    Das Wissen, dass ihre Eltern Diebe waren, machte ihr zu schaffen. Manchmal nahmen sie Kathleen mit, wenn sie in Bars auf Beutezug gingen, wo sie lachen, tanzen und die Leute ablenken sollte, so dass sie ihren Brieftaschen, Geldbörsen oder Handtaschen weniger Aufmerksamkeit schenkten. Bisweilen fragte sie sich, ob die beiden sie nur deshalb aus dem Heim geholt hatten, damit sie ihnen beim Stehlen half. Irgendwie war es ihr gelungen, sich damit abzufinden. Sie musste nur an James denken. Denk an James, sagte sie sich immer wieder. Er war bei ihr, flüsterte ihr zu, dass alles gut werden würde. Sie würden so bald wie möglich wieder zusammen sein. Die rothaarige Puppe war für sie unverzichtbar. Sie erinnerte sie jeden Tag aufs Neue daran, dass James an ihrer Seite war, dass er immer bei ihr war.
    Deshalb liebte Kathleen Beth’ kleine Schwester mit dem schwarzen Barett. Sie lehnte sich gegen die Fensterscheibe und blickte zum Himmel, als könnte sie in weiter Ferne Irland erkennen. Sie wusste, Beth’ Schwester würde eines Tages lernen, dass Dinge, die an etwas erinnerten, letztendlich unwichtig waren. Sie konnten einen nicht retten, auch wenn man es sich noch so sehr wünschte. Ihr Vater hatte die Puppe

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