Eine Frage des Herzens
All die Jahre in der Academy …«
Sie stand reglos da und nahm seine Worte in sich auf. Sie sah, wie erregt er war – Tom, der seine Gefühle in all den Jahren so geschickt verborgen hatte, der einen Weg gefunden hatte, sich mit der Situation zu arrangieren und mit ihr zusammenzuarbeiten, der alles unterdrückt hatte, was soeben aus ihm herausgebrochen war –, und bemühte sich, ruhig zu bleiben, ihn wenigstens ausreden zu lassen.
»Ich war genau wie Seamus – verrückt nach dir, aber zufrieden damit, jeden Tag bei dir zu sein, an deiner Seite in der Academy zu arbeiten, deine rechte Hand zu sein.«
»Das warst du und das bist du. Es war heute Morgen so schwer, die Weinlese ohne dich zu beginnen. Ganz zu schweigen von den letzten Wochen, seit du weg bist … Ich hatte das Gefühl, als würde ein Teil von mir fehlen.«
»Mir ist es genauso ergangen.«
Sie versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Was hatte sie getan? Die Hoffnung geschürt, dass sie ernsthaft ein gemeinsames Leben in Betracht ziehen könnten?
»Ich wollte, es wäre möglich, zwei Leben zu haben«, sagte sie.
»Deine Reaktion zeigt mir, dass du noch über ein Zusammenleben mit mir nachdenkst. Sonst würdest du mir sagen, dass ich dich in Ruhe lassen soll. Willst du es nicht wenigstens versuchen, nach allem, was wir durchgemacht haben? Und sehen, ob wir es schaffen? Gib uns eine Chance, Bernie …«
»Ich habe das ewige Gelübde abgelegt, Tom. Du warst an dem Tag dabei, in der Kapelle. Du weißt, dass ich es nicht brechen kann.«
»Bernie, bitte …«
»Was für ein Mensch wäre ich, wenn ich es täte?« Sie blickte ihm in die Augen. »Woher willst du wissen, dass ich mein Treuegelöbnis dir gegenüber nicht genauso breche? Dass du mir vertrauen kannst?«
»Ich weiß es. Ich kenne dich.«
»Doch nur deshalb, weil du mich in einer bestimmten Lebenssituation kennst … als Nonne, die mit der feierlichen Profess unauflöslich an die Ordensgemeinschaft gebunden ist.«
»Weißt du, warum ich hierherkommen wollte, zum Cliff Walk?«, fragte er bebend.
»Wegen der Klippen von Moher«, flüsterte sie.
»Erinnerst du dich, Bernie? Dort habe ich dich in den Armen gehalten.«
Sie nickte, während sie das Gefühl aufs Neue durchlebte.
»Für mich war es ein Zeichen, als ich die Postkarte sah, die Kathleen geschickt hatte. Genau dieses Panorama war darauf abgebildet – Klippen, Bernie. Seamus folgte ihrer Karte wie einem Leuchtfeuer, den ganzen Weg von Irland. Sie lieben sich, Bernie, aber uns beide verbindet die größte Liebe, die es gibt. Seit Anbeginn der Zeit. Weißt du das nicht?«
Bernie spürte, wie ihr Widerstand erlahmte. Sie ließ den Tränen freien Lauf, und ihr leises Weinen wurde vom kalten Meereswind davongetragen. Liebe überflutete sie, aus dem Herzen kommend, strömte durch ihre Adern. Sie blickte Tom an und wusste, wenn sie jetzt nicht ihre Gefühle offenbarte, würde sie nie mehr den Mut dazu finden.
»Ich weiß es, Tom.«
»Wirklich?«
Sie nickte. »Natürlich. Ich wusste schon bei unserer ersten Begegnung, dass es nie einen anderen Mann für mich geben könnte. Ich bin dir auf Schritt und Tritt beim Picknick deines Großvaters auf Star of the Sea gefolgt …«
»Und dann habe ich mich umgedreht und bin dir gefolgt.«
»Ich habe immer gespürt, dass du bei mir bist, ganz gleich, wo auf der Welt«, sagte Bernie und ergriff seine Hände.
Er nickte und senkte den Kopf, so dass sich seine Stirn und ihre berührten. Ihr Schleier flatterte zwischen ihnen im Wind, doch seine Augen waren nur eine Handbreit entfernt.
»Ich habe es versucht«, sagte er.
»Es gibt niemanden, der mir mehr bedeutet als du.« Ihre Stimme brach. »Weißt du nicht, wie schwer das ist?«
»Das sagst du jetzt, Bernie, aber ist das wirklich so? Du lebst im Konvent, abgeschottet von der Welt. Du hast deine religiösen Überzeugungen, dein Gelübde, hast dich hinter Klostermauern verschanzt, wo du vor irdischen Versuchungen gefeit bist.«
»Das ist ein Trugschluss«, flüsterte sie, und ihr Blick wanderte über den gefährlichen Rand der Klippe. Sie stand in unmittelbarer Nähe und wusste, dass ein einziger Schritt in den Abgrund führen konnte und dass sie jeden Tag eben dieses Gefühl verspürte.
»In Dublin hatte ich den Eindruck, dass du nahe daran warst, aus dem Kloster auszutreten. Ich konnte deine Zweifel spüren, konnte spüren, dass du darüber nachgedacht hast.«
»Das stimmt. Ich habe jeden Tag um Erleuchtung
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