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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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hieß:
Kinderheim St. Augustine’s.
Über eine kreisförmige Auffahrt gelangten sie zur Frontseite eines großen Backsteingebäudes, schmucklos, ohne Fensterläden oder Säulen. Obwohl die Fenster des Wagens offen waren und Bernie die Ohren spitzte, konnte sie keinerlei Geräusche ausmachen, die auf spielende Kinder hinwiesen.
    Sie verschränkte die Hände im Schoß, um zu verhindern, dass sie zitterten. Laut Unterlagen war das der richtige Ort. Das Baby Sullivan, männlichen Geschlechts, war aus dem Gethsemani Hospital in dieses Kinderheim überstellt worden, am selben Tag, als sie die Adoptionspapiere unterzeichnet hatte.
    Sie betrachtete die Fenster an der Vorderseite des Hauses und fragte sich, wer ihn hergebracht haben mochte. Schwester Eleanor Marie? Schwester Theodore? Hatte er sich mit seinen winzigen Händchen an sie geklammert, um nicht zurückgelassen zu werden? Bernie erinnerte sich, wie er mit den Armen um sich geschlagen hatte, wenn er hungrig war.
    »Lass uns gehen«, sagte sie zu Tom und öffnete die Tür. Sie zwang sich, die Worte auszusprechen, um sich nicht an das Weinen ihres Sohnes erinnern zu müssen.
    »Schwester Eleanor Marie hatte genug Zeit, um die Heimleitung vor unserer Ankunft zu warnen«, erwiderte Tom ruhig, als müsste er sie darauf aufmerksam machen.
    »Das spielt keine Rolle. Unser Sohn wurde zunächst hierhergebracht. Das ist eine Tatsache, die man nicht auslöschen kann. Und jetzt ist er mit Sicherheit nicht mehr im Heim. Komm, lass uns hineingehen.«
    Tom stieg aus, während Bernie die breite Granittreppe bereits zur Hälfte hinaufgegangen war. Sie schaute über ihre Schulter und wartete auf ihn. Sein Blick ging ihr durch Mark und Bein. Die Jahre schienen von ihm abzufallen, er war wieder der junge Mann, in den sie sich verliebt hatte. Sie erbebte, von Gefühlen überwältigt. Fürsorglich legte er den Arm um ihre Schultern.
    Als sie die Stufen hinaufstiegen, zitterte sie innerlich. Sie wusste, dass ihr nicht nur der Gedanke zusetzte, was vor ihnen, sondern auch der, was hinter ihnen lag. Als ihr Kind zur Welt kam, war sie im Begriff gewesen, in den Orden einzutreten. Sie hatten sich nie die Chance gegeben, eine Familie zu sein, hatten dem Kind nie eine Chance gegeben, ihr Sohn zu sein. Es war ein sonderbares Gefühl, in Straßenkleidung das Heim zu betreten, doch als sie sich morgens angezogen hatte, hatte sie es nicht über sich gebracht, in den Habit zu schlüpfen. Im O’Malley’s hatte sie bemerkt, wie das Paar am Nachbartisch Tom und sie angeschaut hatte, als gehörten sie zusammen.
    In der Eingangshalle war alles still. Direkt vor ihnen befand sich ein Büro. Durch die Glastüren sah Bernie Nonnen am Schreibtisch, am Telefon oder geschäftig hin und her eilen. Sie stand reglos da und lauschte. Von links drangen entferntes Gelächter und Zurufe zu ihnen herüber, beinahe wie aus einem Hallraum. Der Gedanke, dass man ihren Sohn in einer so stillen sterilen Umgebung untergebracht hatte, machte ihr Angst.
    »Hörst du das?«, fragte sie Tom.
    »Nein. Was denn?«
    »Wo sind die Kinder? Ich sehe keine, und das einzige Lachen, das ich höre, kommt vom anderen Ende des Ganges. Sperren sie die Kinder weg?«
    »Beruhige dich, Bernie. Wir werden es gleich erfahren.«
    Und dann übernahm er die Führung. Er hielt ihr die Glastür auf, und sie betrat das Büro. Er stand am hüfthohen Formica-Rezeptionstisch, der seltsamerweise dem im Archiv des Krankenhauses glich, als hätte der Orden einen Mengenrabatt auf Büromöbel erhalten, und räusperte sich. »Entschuldigung«, sagte er laut.
    »Hallo«, rief ihnen eine Nonne von der anderen Seite des Raums zu und beendete ihren Eintrag in den gelben Notizblock, bevor sie zu ihnen trat. »Willkommen in St. Augustine’s.«
    »Danke«, sagte Bernie.
    »Danke«, sagte auch Tom. »Wir …«
    »Warum sind hier keine Kinder?«, fragte Bernie mit zitternder Stimme.
    »Sie machen einen Tagesausflug an den Strand.« Die Nonne lächelte. »Wir versuchen ihnen mindestens zweimal im Sommer die Möglichkeit zu bieten. Im August hat es viel geregnet, doch heute war es endlich so weit, auch wenn wir schon September haben.«
    »Aber was sind das für Stimmen?« Bernie deutete auf den Gang.
    »Da drüben befindet sich unsere Krankenstation. Einige unserer Kinder haben eine schlimme Grippe hinter sich. Der Arzt hielt es für das Beste, dass sie dieses Mal nicht am Ausflug teilnehmen. Aber keine Sorge, wir lassen uns etwas anderes für sie einfallen.«
    Tom

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