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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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einem Bukarester Beamten ein paar tausend lumpige Mark in den Hintern zu stopfen, damit sich an der Grenze der verrotzte Schlagbaum hob. Etliche sächsische Familien waren geblieben, wie zum Beispiel die Fugger-Schmidt, Petz, Leihofer und Waldhof, die dann für den deutschen Geheimdienst arbeiteten, oder sie ließen sich lebendig begraben, um mit ihren Knochen die geschändete Erde ihrer Vorfahren zu wärmen.
    Es gab Tage, an denen sogar der Schnee heimlich fiel.
    Als zum Beispiel der Schusterdiktator hingerichtet wurde, lockten die rumänischen Revolutionäre diese sächsischen und ungarischen Dönchen hinter den Büschen hervor, und die Auserwählten mußten das Glied des blutüberströmten toten Despoten, das immer noch zitternd aufragte, mit ihrer Spucke besänftigen. Diese Erde hat die autarke, wilde und unfruchtbare Sinnlichkeit weltverbesserischer Ideen schon immer weit mehr geschätzt als den vorbildlich unterdrückten Achselgeruch der Reformer. Wir haben die Ameisen zertreten, nur um davon träumen zu können, woher sie gekommen sind und wohin sie den Brosamen schleppen. Unsere Träume machten wir dann öffentlich und waren stolz.
    Melinda Pipo stand vor mir, den Kopf geneigt, ihre Stirn glänzte, doch sie lächelte nicht, denn sie konnte gar nicht lächeln. An ihrem Kinn sah ich den Glanz von Mohammeds süßem Atem. Einst hatte ihr Jesus persönlich mit einem billigen Schwamm aus Dubrovnik die Knöchel poliert. Irgendein serbisches Lied muß sie verwundet haben, denn an ihrer Schulter schimmerte ein blütenblattförmiger dunkler Fleck. Ich konnte auch sehen, daß sie in ihrer Kindheit zwischen die felshohen Schmerzensschreie rumänischer Baptisten geraten sein mußte, und ihr Befreier, vielleicht ein verwirrt stotternder Ungar, hatte klebrige Asche in ihrem Haar zurückgelassen.
    Melinda Pipo strich sich zögernd übers Gesicht. Sofort begann Schnee zu fallen. Dabei war Herbst. Seit Jahrhunderten ist es eine Angewohnheit der Flüchtenden, auf den Himmel einzuwirken und immer hungrig zu sein. Ich wußte auch, daß die Waldhofs aus Torockó sie in einem Bergwerk festgehalten, sie in einem Kippwagen gewiegt und das Glitzern der Steinkohle in ihren Blick geschmuggelt hatten. Im Backfischalter hatte ein jüdischer Zaddik sie begehrt, doch er bat nur um ein Stück ihres Fingernagels. Egal. Vor mir stand das Mädchen, das Eigentum von Ali Batazar, und innerhalb eines einzigen Augenblicks war mir all das durch den Kopf gegangen.
    Ich liebe dich, sagte ich zu Melinda Pipo, leise, verloren.
    Ja, ich habe tatsächlich Hunger, flüsterte sie.
    In diesem Moment stürmte Rosalia Fugger-Schmidt aus dem Haus, meine Frau, die es nicht besonders schätzte, wenn ich anderen Frauen Liebeserklärungen machte, wenn ich für sie sang, wenn ich meinen Samen in ihren Schoß hineinstöhnte. Der bauchige Kölner Karren von Ali Batazar wirbelte den Staub längst unter einem anderen Himmel auf, und nur ein Satz blieb zurück und flatterte über meinem Haus wie ein blutiges Tuch.
    »Jede Frau ist eine Niederlage der Schöpfung!«
    Diese Botschaft genügte, um zu ahnen, daß niemand zurückkommen und Melinda Pipo holen würde. Flüchtlinge, teure Freunde, werden stets auf halbem Weg im Stich gelassen. Na gut, Melinda Pipo bleibt hier in meinem Haus, weil sie unheilbar hungrig ist. Ich nehme sie auf, etwas anderes kann ich ohnehin nicht tun. Dachte ich. Während meine Frau, Rosalia Fugger-Schmidt, sich dem Gesicht des Mädchens näherte, als sei es ein Spiegel. Sie begann sie auszufragen und tastete sie ab.
    Bist du hungriger als dein Vater oder deine Mutter?
    Ich bin hungrig wie der Tod, sprach leise Melinda Pipo.
    Wie alt ist das Glück, fragte Rosalia Fugger-Schmidt.
    Nur einen Wimpernschlag älter als das Unglück.
    Was ist demütigender als der Irrtum?
    Wenn wir zufällig die Wahrheit sagen.
    Wo bist du am hungrigsten?
    In meiner Seele, liebe Rosalia Fugger-Schmidt.
    Was tun wir, wenn wir mitten im Winter ein Stückchen Sommer finden?
    Wir essen es.
    Was tun wir mit dem Guten, dem Bösen, dem Schönen und dem Wahren?
    Wir essen es.
    Wer uns essen will, wie lieben wir den?
    Wir essen ihn.
    Dergestalt lernten die beiden sich kennen, plaudernd und scherzend, meine teure, gute Frau und ein echter Flüchtling. Dann tanzten sie ins Haus und verschlossen die Tür hinter sich. Ich aber begann wie wild zu trinken. Ich weiß nicht, ob ich das schon erzählt habe, aber ich kannte auch einen Leichenbeschauer, der ebenfalls Ali Batazar hieß, dem

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