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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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sich schnell aus, ohne sich bitten zu lassen. Ihre Schenkel waren voller Honig, natürlich.
    Nimm das Kreuz heraus, mein Kind.
    Das Mädchen sah verwundert auf. Dann berührte sie zögernd ihren Schoß und zog den kleinen, vergoldeten Gegenstand hervor.
    Laß es am Ufer, Petruša.
    Herr Luft, Sie sind so aufmerksam.
    Sie ließ das Kreuz zu Boden fallen, ohne es eines Blickes zu würdigen.
    Von jetzt an darfst du nicht mehr singen, sagte ich.
    Wer singt denn dann, fragte sie singend.
    Das Wasser, Petruša, das Wasser im See singt statt deiner.
    Sie klammerte sich an mir fest wie an einem Ast. An einigen Stellen des Sees wurde man von einer geheimen, unwiderstehlichen Kraft nach unten gezogen, in die tödliche Tiefe. Wer bin ich, nur ein einfacher Bademeister, der seine Sache ernstnimmt. Ich legte mich auf den Rücken, zog den Körper des Mädchens über mich und begann, ihr ins Gesicht hauchend, zu erzählen. Ich erzählte von den endlosen Ausgrabungen von Jakulevo, ich erzählte ihr die Geschichte des Meerauges, nein, es sei nicht wahr, daß es hier früher einmal Schwäne gegeben habe, nur dieses eine unglückliche Exemplar, das irgendein Vorfahre von Milenka Carica hatte herbringen lassen, worauf es einige Tage später eingegangen und sein Leichnam tagelang auf dem See getrieben sei, während am Ufer der unglückliche Vorfahre von Milenka Carica brüllte und sich vor Schmerz die Augenbrauen auszupfte. Legenden überdauern immer, und sie können aus jedweder Regung entstehen. Ich erzählte ihr, daß es Physiker gibt, die das Funktionieren des Universums zu verstehen vermeinen, die, weil sie es errechnet haben, wissen, wie das Weltall entstanden ist, allein, sie wissen nicht, warum da ist, was da ist. So viel erzählte ich Petruša Carica, daß mir schließlich selbst ganz schwindlig wurde. Leise plätscherte das Wasser um uns. Es nahten die Minuten der Prüfung.
    Wo wird die Einsamkeit geboren, Petruša?
    In unserem Mund, Herr Luft.
    Woher kommen die Frauen, Petruša?
    Vom Friedhof, Herr Luft.
    Nun, und wohin gehen sie, Petruša?
    Zum Friedhof, Herr Luft.
    Und was machen die Männer, Petruša?
    Singend graben sie die Gräber, Herr Luft.
    Petruša Carica sang nicht, sie summte nicht einmal. Sie sprach, wie wir alle, ihre Wörter schlugen trocken und unglücklich auf, doch sie hörte das Wasser. Sie hörte das Rauschen der Bäume, den Gesang der Nacht und die Musik der Sterne. Dann, von einem Moment auf den anderen, geschah etwas, wie wenn es plötzlich in Strömen zu regnen beginnt. Zuerst erklang wilde Musik, dann hagelten Steine auf uns nieder. Ich dachte, Milenka Carica habe ihre Tochter aufgegeben. Ja, natürlich. Sie hatte sie wahrscheinlich einem ihrer Musiker zugedacht. Und jetzt hatte sie am Ufer das Kreuz entdeckt. Ich verstand den Schmerz von Milenka Carica, nur daß die Steine jetzt auch auf mich niederhagelten. Kleine rauhe Kieselsteine pfiffen um unsere Köpfe. In meiner Schulter funkelte die Nadelspitze, ich war geschützt. Aber Petruša Carica hatte nichts, nur mich und das singende Wasser. Unablässig hauchte ich, hauchte ihr ins Gesicht. Kieselsteine und Eisennägel trafen unsere Körper.
    Hörst du, wie das Wasser singt, Petruša?
    Hören Sie, Herr Luft, daß es von uns beiden singt?
    Endlich dämmerte es, wir bluteten.
    Die Musiker lagen bewußtlos am Ufer. Als wären sie tot. Endlich konnten wir aus dem Wasser steigen. Petruša Carica blutete, doch sie konnte schwimmen, und sie konnte schweben. Fortwährend hauchte ich ihr ins Gesicht, damit sie nicht ohnmächtig wurde. Milenka Carica war hier, sie wird sich in den Büschen verborgen haben, vielleicht beobachtete sie uns von dort.
    Ich kann schwimmen, Mutter, rief auf der Erde sitzend das Mädchen.
    Mein Name ist Luft, sagte ich.
    Es war still wie auf dem Grund des Sees.
    Milenka Carica, flüsterte ich. Ich habe Ihrer Tochter beigebracht, dem Gesang anderer zu lauschen. Ich habe ihr beigebracht, wie man redet und schweigt.
    Und dann hörte ich Lärm. Auch Petruša Carica riß den Kopf hoch und sah, wie vom steilen Ufer des Sees, vom schlammigen Abhang voller Geröll und Dreck eine riesige Melone auf uns zurollte. Es schien, als könnte Petruša Carica sich nicht rühren. Vielleicht wollte sie es auch nicht. Die Melone rollte ihr direkt zwischen die Schenkel, und als sie gegen ihre Scham stieß, zerbarst sie, wie bei einem Kunststück. Der Morgen dämmerte am Himmel. Der süße Melonensaft floß über Petruša Caricas Schoß, die nicht mehr sang,

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