Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
hatte sich ein Rehkitz an den Rand der Lichtung verirrt und beobachtete uns. Mein Vater kippte die Ohren und Finger aus seinem Schurz wieder in den Rucksack. Sie waren alle da, nichts war uns auf der ausdauernden Wanderung verloren gegangen. Na gut, summte er wie für sich selbst, ich hätte außerordentliches Glück, er kenne nämlich eine Frau, nicht weit von hier, sie heiße Maria Ungri und verstehe die Sprache des Grases. Mein Vater log nicht, denn er log nie. Oder wenn er log, dann wirkte das mindestens so wahr, als habe er die Wahrheit sagen wollen. Vielleicht hatten sie ihn auch deshalb so lange kämpfen lassen, damit er den Rang eines Majors erreichte. Ich bin übrigens der Ansicht, daß es sehr viel mehr Wahrheit gibt auf der Erde und daß die Lüge eher versehentlich, nicht aus Absicht, Willkür oder List entsteht. Alles, was leidenschaftlich ist, ist zugleich verlogen. Die Wahrheit kennt kein Gefühl.
Maria Ungri war gerade beim Mähen, als wir ankamen. Sie war eine dicke, fleischige Frau. Ich sah ihrem Gesicht an, daß sie auf Heuhaufen schlief und sich zuweilen mit Brennesseln peitschte, damit es nicht gut für sie war. Denn ihr Grundsatz war offensichtlich, daß man das Leben nicht allzusehr lieben dürfe. Es ist nicht sicher, daß Selbstvergessenheit Sünde ist, aber sie mußte bestraft werden, das las ich ihrem Gesicht ab, ihrem Blick. Das Eisen ihrer Sense glänzte so sehr, daß ich mir über den Hals streichen mußte. Mein Vater schlenderte zu Maria Ungri und flüsterte ihr ins Ohr. Ich hörte, wie er sagte, der Arme. Und Kinderei. Und so ist das Leben. Schließlich lachte Maria Ungri so heftig, daß eine Mistgabel umkippte, die im Heuhaufen steckte. Da nahm sie meinen Vater auch schon bei der Hand und zog ihn wie ein folgsames Kind in ihr Haus. Das Ganze war zum Lachen. Ich hatte ja geahnt, daß es so sein würde, wieder bekam mein Vater eine Frau und nicht ich. Das tat weh, ich leugne es nicht. Ich legte mich neben einen der Heuhaufen und hörte dem Glockenläuten zu, das von Segedin herüberkam, gemeinsam mit den Wolken und dem Wasser des Flusses. Alles ist viel schwieriger, jetzt, wo der Krieg zu Ende ist. Bislang habe ich die Erfahrung gemacht, daß der Krieg das Leben erleichtert. Er verlangt nichts weiter von uns, als an ihm teilzunehmen. Der Krieg möchte, daß man für ihn arbeitet, und für die Glücklichen, die beschließen, im Schützengraben zu schlafen, wird in der Tat alles einfacher, die Liebe, der Tod, Gott – ja, denn im Krieg ist auch Gott sehr einfach. Und das Essen zum Beispiel. Auch das ist so einfach. Aber vielleicht ist die Sache mit Gott das Beste am Krieg. Denn mit der Verworrenheit der Liebe oder des Todes wird man im Spinnengewebe des täglichen Lebens noch irgendwie fertig. Aber mit Gott! Im Alltag, wenn die Waffen ruhen und am Kasernentor die Wache schlummert, ist der Herr so kompliziert, so schrecklich. In meinem Mundwinkel wippte ein Grashalm, als ich daran dachte, ich, Oberleutnant Koz. An diese Dinge dachte ich, als mein Vater und Maria Ungri aus dem Gehöft kamen und sie zu ihm sagte, Herr Major, danke, daß Sie mich besucht haben, morgen werde ich unseren Pater bitten, daß er für Sie und Ihren Sohn ein Vaterunser spricht. Aber, fügte sie mit einem Blick auf mich hinzu, passen Sie auf mit ihm, denn das ist ein gefährlicher Mensch.
Mein Vater lachte heftig.
Wenig später sagte ich zu meinem Vater, daß es so nicht gut sei. Ich verstünde es ja, aber daß jetzt ich an der Reihe sei, müsse er doch auch ohne besondere Voreingenommenheit einsehen. Der Alte seufzte, nickte, ich hätte ja recht, wie sehr ich doch recht hätte. Und daß ich ihm verzeihen solle. Aber rein zufällig, sagte er nach einigem Schweigen, wisse er von einer Frau, die jenseits der Grenze lebe und Margareta heiße. Sie könne die Luft zum Tanzen bringen. Ein richtiges Lufttheater habe diese Margareta, ein wildes Luftballett mit jeder Menge Tänzern, Tänzern aus Seufzern, Keuchen und Hauch. Die Lufttänzer lebten über den schmutzigen Wogen des Flusses Marosch, und im Schlaf bebten sie natürlich meist und schlügen Wellen. Im Winter faulenzten sie und verhöhnten den Rauch in den Kaminen. Am zahlreichsten waren sie, als der Schusterdiktator und seine Frau von ihren Kindern aufgefressen wurden.
Margareta betrachtete uns so liebevoll, als wären auch wir Tänzer. Mein Vater gab mir seinen Rucksack in die Hand und trat zu ihr. Aus dem Atem des Mädchens, der voller Schleier war, riß er ein
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