Eine Frau - Ein Bus
Gebäudes begonnen hatte, es sei sein Schloss, doch Johnson störte sich auch daran nicht, sondern war wie üblich amüsiert über seinen Kumpan und spielte sogar mit, indem er den Leuten erzählte, er sei lediglich Scottys Bankier.
Es hatte den Anschein, als färbe ein Teil von Scottys Unerschrockenheit auf Johnson ab, denn der Millionär lag jahrelang mit der Regierung im Clinch, ob sein Schloss sich auf staatlichem Grund und Boden befand oder nicht. Laut unserem Fremdenführer einigten sich die Parteien irgendwann darauf, dass Johnson sein Anwesen auf Lebenszeit behalten dürfe, nur der Verkauf sei ausgeschlossen. Da Johnson keine Erben hatte, stimmte er zu. Doch nach dem Tod seiner Frau gründete er eine Stiftung und verfügte testamentarisch die Übereignung des Schlosses an besagte Stiftung. Nach seinem Tod nahm sich diese Stiftung sowohl des Schlosses als auch Scottys an.
Mit einer Psyche, die mittlerweile völlig entblößt, und einem Kleiderschrank, der bis aufs Skelett entblättert war, konnte man es wohl kaum als Wunder bezeichnen, dass wir beschlossen, uns auf einem Nudisten-Campingplatz einzuquartieren. Obwohl Tim aufgrund seiner Tätigkeit als Psychiater mit Begriffen wie »unbewusste Bedürfnisse«, »versteckte Bedeutungen« und »tiefsitzende
Motive« durchaus vertraut war, ist er auch ein typischer Mann. Und ein typischer Mann hat den Drang, einmal im Leben einen Nudisten-Campingplatz aufzusuchen. Und ich erklärte, dass ich niemals, nicht in einer Million Jahren … Ach, was soll’s? Mittlerweile hatte ich jeden Anschein eines freien Willens über Bord geworfen. Schließlich lebte ich ein ganzes Jahr in einem Bus. Nicht dass ich diesem Aufenthalt entspannt entgegengesehen hätte, weit gefehlt. Nach unserer Abreise aus New Orleans hatte ich mich vorsorglich auf Atkins-Diät gesetzt - nur für alle Fälle. Doch meine Sorge erwies sich als unbegründet, denn ich stellte fest, dass Nudisten unglaublich zurückhaltend sind. Es sei denn, man versucht, sich Zugang zu einem ihrer Parks zu verschaffen. In diesem Fall können sie dieselben Nervensägen sein wie die prüdesten Sittenwächter.
Als wir uns Kalifornien näherten, durchforstete ich das Internet. Ein Campingplatz hörte sich ganz besonders vielversprechend an, also rief ich an und fragte, ob bei ihnen tatsächlich das Motto Bekleidung wahlweise gelte.
»Nein«, erwiderte die Frau am Telefon unmissverständlich.
»Oh. Tut mir leid. Da muss ich wohl falsch informiert sein«, entschuldigte ich mich in der Hoffnung, dass sie mich nicht für eine Verrückte hielt. Doch etwas an ihrem Tonfall veranlasste mich, weiterzubohren.
»Also … laufen die Leute bei Ihnen nicht nackt herum?«, hakte ich nach.
»Oh doch, das tun sie«, erwiderte sie.
»Okay, aber die Bekleidung ist nicht wahlweise«, fuhr ich langsam fort.
»Nein, wir sind ein reiner Nudistenplatz«, blaffte sie mich an. Okay. Entschuldigung, dass ich geboren wurde.
»Ich bin nicht sicher, ob mir der Unterschied klar ist«, räumte ich ein. Sie erklärte mir die Regel: Sobald man sich innerhalb des Platzes aufhielt, war Nacktsein obligatorisch. Jetzt begriff ich. Bei dieser ganzen »Bekleidung wahlweise«-Sache war wahlweise das Problem, nicht der Begriff Bekleidung . Woher hätte ich das denn wissen sollen? Ich schob eine weitere Frage hinterher, die mir nur allzu logisch erschien.
»Darf ich Schuhe tragen?« Sie brach in schallendes Gelächter aus, deckte die Sprechmuschel mit der Hand ab und wandte sich offenbar einem anderen Nudismus-Experten zu. »Sie will wissen, ob sie Schuhe tragen darf!« Für alle Ahnungslosen - die Antwort lautet Ja. Ich gelangte zu dem Schluss, dass sie ihre beschissene wahlweise Beherbergungsmöglichkeit behalten konnte, und fand einen anderen Campingplatz.
Als wir auf das Olive Dell Ranch Nudist Resort in der Nähe von San Bernardino fuhren, tauchte ein anderes Problem auf: Normalerweise ging ich ins Büro, um die Formalitäten zu erledigen, während Tim im Bus wartete. Sollte ich jetzt meine Kleider ausziehen? Was, wenn wir es hier mit einer Variante des universellen Albtraums zu tun hatten, das Ganze nur ein beschissener Witz war und alle außer mir angezogen waren? Ich trug Ohrringe. Sollte ich sie auch abnehmen? Eine durchaus berechtigte Frage, dünkt mich, selbst nach dem Schuhdebakel. Ich hätte vom Mobiltelefon aus anrufen und fragen können, doch die Frage erschien mir ebenso banal wie die Schuhdiskussion, und ich hatte keine Lust, mich noch
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