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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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in meinem Leben nicht einmal annähernd erreicht (und war nicht sicher, ob ich es jemals tun würde), doch zumindest konnte ich nachfühlen, weshalb andere Menschen so fasziniert davon waren.
    Der Ranger verriet uns, die Sonnenuntergänge auf dem Cadillac Mountain seien die allerschönsten im gesamten Nationalpark, einschließlich Denali in Alaska, wo er ebenfalls eine Weile gelebt hatte. Beim Klang des Wortes »Mountain« glaubte ich, die einzige Möglichkeit für mich, den Sonnenuntergang zu sehen, bestünde darin, dass ich
Tim die Kamera mitgab. Doch es stellte sich heraus, dass man mit dem Wagen bis zum Gipfel fahren und dann zu Fuß über eine Fläche aus flachen Felsen gehen kann, um sich eine Stelle zu suchen, von der aus man das vielfarbige Spektakel beobachtet. An diesem Tag saßen wir da und sahen zu, wie das Tageslicht langsam über die Bergkämme und das Meer kroch und eine eigentümliche Landschaft schuf. So musste es auf dem Mond aussehen, dachte ich, nur ohne das gnadenlose Training, die Übelkeit erregenden G-Kräfte , die fiesen Raumanzüge im Disco-Stil oder die Windeln.
    Wir verbrachten auch einige angenehme Nachmittage damit, durch Bar Harbor zu schlendern. Nach jahrelanger Krustentier-Abstinenz (auch wenn ich seit meiner Kindheit nicht mehr koscher aß, kann ich mich immer noch nicht überwinden, das Zeug zu verspeisen), bestand Tim darauf, dass wir jeden Abend in ein Hummerrestaurant gingen. (Er probierte sogar Hummereiscreme. Das Urteil: »Schmeckt wie Vanille«, was schätzungsweise das Hähnchen unter den Desserts ist.) Trotzdem brachte ich es nicht über mich, auch nur einen Bissen von den Krustentieren zu essen, die mir zwar nicht mehr verboten, aber trotzdem nicht geheuer waren. Es ist keine Frage der Religion, sondern mir erschließt sich lediglich der Reiz nicht, dass mein Abendessen mich anstarrt, während ich es zerteile.
    Die meisten dieser Hummerrestaurants waren so schlicht und schmucklos, dass ich mich fragte, wieso sie uns nicht gleich unseren eigenen Fang mitbringen ließen. Wenigstens hatten sie alle Meerblick.
    Unsere idyllische Zeit in Maine ließ uns glauben, in unserer kleinen Bus-Welt herrsche eitel Sonnenschein. Tim ließ sich sogar zu der Bemerkung hinreißen, in letzter Zeit
habe es gar keine Katastrophen mehr gegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte er jedes Mal beim Anlassen befürchtet, etwas könnte schiefgehen, doch nun spüre er, wie seine Zuversicht wachse, erklärte er mir. Beim Gedanken an all die Unwägbarkeiten, mit denen wir konfrontiert gewesen waren, wurde ihm bewusst, dass sie Teil eines Lernprozesses waren, die sein Vertrauen in seine Fähigkeiten als Bus-Besitzer nur stärken konnten. Zum ersten Mal hatte er, als er den Blick über den endlosen Ozean schweifen ließ, den wir bald hinter uns lassen würden, das Gefühl, unseren Bus zu kennen und ihn im Griff zu haben.
    Er fühlte sich eins mit seinem Bus.
    Tim und ich beendeten unsere Vorbereitungen für den Aufbruch, die Tiere die ihren. Aus irgendeinem Grund schienen Miles und Morty stets zu wissen, wenn die Zeit gekommen war. Sie kuschelten sich auf den Zweisitzer und sahen uns erwartungsvoll an. (Miles mit diesem »Oje, welches Abenteuer blüht uns wohl als Nächstes?«-Ausdruck, während Mortys eher etwas im Sinne von »Wenn es das nicht wert war aufzuwachen, könnt ihr was erleben, ihr Arschlöcher.«) Shula befand sich allem Anschein nach im Stadium des Leugnens, also hob ich sie aus dem Bett und setzte mich mit ihr auf den Beifahrersitz. Tim drehte den Zündschlüssel. Nichts.
    Die Batterie war tot. Augenblicklich begriff er, wie lächerlich diese ganze »Eins mit dem Bus«-Sache gewesen war, besonders da wir auf einem Stellplatz standen, an dem man kaum an den Motor herankam. Wir riefen zwar den Automobilclub, doch der Mechaniker informierte uns in entschuldigendem Tonfall (schließlich stammte er aus Maine), er könne uns die 24-Volt-Starthilfe, die wir brauchten, nicht geben. Was konnte Allround-Freak also
tun? Wie jeder Superheld in einer Krisensituation musste er zur wahren Quelle seiner Macht - Sears, in diesem Fall - zurückkehren. Genauer gesagt: die Abteilung für Profi-Werkzeuge.
    »Soll ich die Adresse von Sears im Internet nachsehen?«, erbot ich mich als Versuch, hilfsbereit zu sein.
    »Nö«, erwiderte Allround-Freak und blickte mit einem kaum merklichen Nicken in die Ferne. »Ich finde es schon.«
    Natürlich tat er das. Karten sind etwas für einfache Erdlinge. Fledermaus-Signale

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