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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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Ihnen helfen?«, fragte sie. Ich konnte nicht widerstehen.
    »Gibt es einen Vergnügungspark in Key West?« Ihr fiel die Kinnlade herunter, und gerade als sie zum herzhaftesten »Nein« des Tages ansetzen wollte, fiel der Groschen, und sie lachte.
    »Ist das zu fassen?«, meinte sie. Ich konnte nur hoffen, dass sie den Anrufer meinte und nicht mich.
    Einer unserer Lieblingsorte auf Key West war der Friedhof. In Boulder leben wir in der Nähe eines historischen Friedhofs, den die Einheimischen jedoch eher wie einen Park nutzen. Sie führen ihre Hunde aus, spielen Frisbee und lassen ihre Kinder mit Spielzeugbooten auf dem Bach spielen. Er wird liebevoll gepflegt, da jeder froh darüber ist, so ruhige Nachbarn zu haben. Als wir also sahen, dass der Friedhof von Key West als »Sehenswürdigkeit« angepriesen wurde (na ja, schließlich gibt es hier ja keinen Vergnügungspark, oder?), mussten wir hin.
    Die Inschriften auf den Grabsteinen reichten von dankbar (»Gott war so gut zu mir«) bis zu regelrecht oberlehrerhaft (»Ich hab dir gleich gesagt, ich bin krank«). Das kurioseste Exemplar jedoch war eine Statue neben dem
Grab eines gewissen Archibald John Sheldon Yates: eine nackte Frau, die mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf einem Stein sitzt - das offensichtlichste »Über den Tod hinaus«-Beispiel von zu viel Information.
    Wir verließen Key West nur einmal: An einem herrlichen, sonnigen Tag (gab es dort überhaupt etwas anderes?) machten wir mit dem Jeep einen Ausflug zu Robbie’s Pier auf Islamorada um die Ecke, um die Riesenfische, die Tarpone, zu füttern. Es war ein ziemlich billiger Kick, so wie man es auf den Keys vermuten würde. Die meisten Leute bekamen ganz schleimige Hände, weil sie in die Eimer mit Fischen griffen, um sie an diese gewaltigen Tiere zu verfüttern, die ihre Beute mit der Schnelligkeit wendiger Piranhas schnappten. Ich nicht. Ich würde unter keinen Umständen riskieren, irgendwelchen Sabber auf die hinreißende weiße Caprihose zu bekommen, auf die ich mich schon den ganzen Winter gefreut hatte. Stattdessen sah ich den anderen Touristen zu und blieb selbst sauber und unberührt. Außerdem erinnerte mich der Anblick dieser Tiere in ihrem Futterwahn viel zu sehr an den jährlichen Brautkleid-Ausverkauf bei Filene’s Basement in Boston. Es macht Spaß, sich diesen Mumpitz im Fernsehen anzusehen, aber sich selbst ins Gewühl stürzen und Verletzungen riskieren? Wohl kaum.
    Wir fuhren weiter nach Norden und verließen die Keys ganz, um einen unbeugsamen Schrein für die unerwiderte Liebe, Coral Castle in Homestead, zu besuchen. Wir waren ein klein wenig besorgt, schon wieder einen so langen Weg auf uns zu nehmen, nur um am Ende schon wieder vor einem öden Bollwerk zu stehen, so wie in South Dakota. Die Erinnerung an das Corn-Palace-Debakel schmerzte noch immer. Zum Glück war dies hier nicht der Fall.

    Von 1920 an hatte ein gerade mal einen Meter fünfzig großer lettischer Immigrant (der noch dazu an Tuberkulose erkrankt war) begonnen, über zwanzig Jahre mehr als tausend Tonnen Korallenfels abzubauen, zu transportieren und zu bearbeiten, das er anschließend nicht nur für den Bau seiner Burg, sondern auch für die Herstellung sämtlicher Möbelstücke verwendet hatte. Das ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass einige der Steine bis zu dreißig Tonnen wiegen. Er bewerkstelligte all das ohne den Einsatz von schwerem Gerät, in Erinnerung an ein Mädchen in der alten Heimat, das ihn am Abend vor der Hochzeit sitzen gelassen hatte. Bis zu diesem Tag kann niemand nachvollziehen, wie dieser Edward Leedskalnin mit der Bildung eines Viertklässlers eine solche Leistung vollbringen konnte.
    Normalerweise hätte mich Coral Castle nicht sonderlich interessiert, da ich wegen meiner Unfähigkeit, technische Zusammenhänge zu erkennen, die Einzigartigkeit seines Schaffens nicht wirklich zu wertschätzen wusste. Tim hatte dieses Problem selbstverständlich nicht. Als wir he rumschlenderten, erhaschte ich einen Blick auf den kleinen Jungen, der er einmal gewesen war - völlig fasziniert von allem, was mit Technik zu tun hat. Im Gegensatz zu seiner Kindheit hatte mein Ehemann heute jemanden an seiner Seite, der eigentlich fähig sein sollte, seine Leidenschaft zu schätzen - mich. Wieso hatte ich das nie getan? Niemals? Als mir dieses entsetzliche, fast zwanzigjährige Versäumnis bewusst wurde, entpuppte sich Tims Begeisterung von all den wunderschönen Korallengegenständen

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