Eine Frau - Ein Bus
Gemeinschaft gab, die man mögen konnte. Am Ende rang er sich zu einem Kompromiss durch. »Ich würde gern hier wohnen, aber nur wenn ich sonst keine Alternativen hätte.«
Nach einer so langen Zeit am selben Ort war es seltsam, wieder unterwegs zu sein. Meine »Abflugsvorbereitungs«-Routine war mit einem Mal keine Routine mehr. Ich vergaß sogar, ein paar Dinge in Sicherheit zu bringen, die prompt durch die Gegend flogen. Sie sorgten zwar für Durcheinander, richteten aber keinen Schaden an. Dann war da der Lasterverkehr auf der I-40. Wir hatten noch nie so viele große Fahrzeuge auf einem Haufen gesehen. Und da wegen einer Baustelle auf dem Highway die gefürchteten Betonleitpfosten aufgestellt waren, malte ich mir pausenlos aus, wir müssten plötzlich, sagen wir, wegen eines Elchs stehen bleiben, würden geradewegs über die Mittellinie rasen und umkippen, so wie dieser Bus in Jacksonville. Die Tatsache, dass niemand in dieser Gegend je einen Elch zu Gesicht bekommen hatte (wie Tim mich informierte), war mir auch kein Trost.
Als sich unsere fünfeinhalbstündige Fahrt nach Marion, Arkansas (unmittelbar vor Memphis) dem Ende neigte, zitterten meine Hände. Sowie Tim vor dem Büro des Campingplatzes anhielt, mixte ich mir einen Martini, statt aus dem Bus auszusteigen und uns anzumelden. Ich machte mir noch nicht einmal die Mühe, mir einen Namen dafür auszudenken. Tim beäugte mein Glas. »Hast du dir schon überlegt, in welcher Entziehungsanstalt ich dich abliefern soll?«
Ich wusste, dass dieser Landstrich völlig anders war als alles, was ich kannte. Was ich nicht bedacht hatte, war die Tatsache, dass ich auch anders war als die meisten Menschen, die sie kannten. An diesem Abend nahmen wir den Jeep und fuhren zu einem relativ noblen Supermarkt, um Lebensmittel einzukaufen. Ich trug mein gewohntes Bus-Winteroutfit,
einen rosa Nicki-Jogginganzug von Baby Phat … und fühlte mich völlig overdressed. Nach den Blicken zu urteilen, die ich erntete, als wir durch den Tiefkühlkost-Gang gingen, wurde dieses Gefühl aufrichtig erwidert - und mehr.
Wir fuhren nach Memphis, um Graceland zu besichtigen - etwas, was wir beide schon immer vorgehabt hatten. Wir waren nicht die Einzigen. Es ist das am zweithäufigsten besuchte Gebäude der USA (nach dem Weißen Haus). Das fünfeinhalb Hektar große Gelände mit dem 1500-Quadratmeter-Haus entpuppte sich als kolossale Enttäuschung. Ich hatte gedacht, es sei wesentlich prächtiger. Vielleicht liegt es daran, dass es als Museum genau in dem Zustand belassen wurde, wie es zum Todeszeitpunkt des King war und deshalb ein Fashion Victim der Siebziger ist. Einer der reichsten Männer im Land, noch dazu eine kulturelle Ikone - und so jemand hatte eine Resopalarbeitsplatte in der Küche?
So enttäuschend Graceland war, stellte der Besuch der Underground Railroad in Memphis doch ein Erlebnis dar, das uns die Augen öffnete.
In seiner Blütezeit während der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts gelang durch dieses eindrucksvolle Netz aus sicheren Häusern und geheimen Fluchtrouten zehntausenden Sklaven die Flucht, vorwiegend in Bundesstaaten, in denen die Sklaverei verboten war, und nach Kanada, aber auch nach Mexiko und in Länder in Übersee. Der Begriff »Underground« bezieht sich auf die erforderliche Geheimhaltung, während »Railroad« als Codewort fungierte, allesamt Vokabeln aus der Welt der Eisenbahn, die benutzt wurden, um die Flüchtigen auf dem Weg in die Sicherheit dirigieren zu können. »Passagiere« reisten
beispielsweise zu Fuß oder in Waggons bei Nacht unter der Obhut von so genannten »Schaffnern«. Sie machten Halt in »Stationen« oder »Depots« in den Häusern von »Stationsvorstehern«. (Harriet Taubman, selbst aus den Fängen der Sklaverei geflohen, fungierte als Fluchthelferin für siebzig Sklaven im Zuge von dreizehn Fahrten, vorwiegend in Maryland. Sie rühmte sich, »niemals auch nur einen Passagier verloren zu haben«.)
Als der deutsche Einwanderer Jacob Burkle die Börse von Memphis zwei Blocks vom Mississippi entfernt errichtete, baute er 1849 auch sein eigenes Haus dorthin, einschließlich eines Kellers, um die Sklaven dort zu verstecken. Sie warteten, bis eine Schiffsladung Kälber eintraf, dann schlichen sie sich zum Fluss, wo sie sich zwischen den Tieren im Heu versteckten. Von dort aus wurden sie ins sklavenfreie Illinois oder gar bis nach Kanada gebracht. (Nach der Verabschiedung des so genannten Fugitive Slave Law im Jahr
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