Eine Frau - Ein Bus
1850, das es Sklavenjägern gestattete, entflohene Sklaven selbst in den Bundesstaaten im Norden einzufangen, die die Sklaverei nicht unterstützten, wurde Kanada zum besonders bevorzugten Ziel.) Während Burkle seine Aktivitäten als Fluchthelfer für die Underground Railway vor seiner Familie zu deren eigener Sicherheit geheim hielt, hatten ihn die Sklavenjäger dennoch in Verdacht und versuchten mehr als einmal, sich Zugang zu seinem Haus zu verschaffen. Trotzdem ließ er sich bis zu seinem Tod nicht von seiner Tätigkeit abbringen.
Heute ist das Slave Haven Underground Railroad Museum in Burkles weißem Schindelhaus untergebracht. Es wurde von Joan Nelson und Elaine Turner, zwei Schwestern, die Burkle in Vision und Energie in nichts nachstanden, als gemeinnützige Einrichtung gegründet und finanziert sich
mit den Eintrittsgeldern, den Verkäufen des Souvenirshops und Spenden. Als Joan uns im Burkle Estate herumführte (ein ziemlich irreführender Name, da wir um ein Haar daran vorbeigefahren wären), katapultierte uns die vermeintlich längst vergangene Geschichte ins Hier und Jetzt.
Es waren nicht nur die alten Plakate (darunter auch das Original Gesucht: Tot oder lebendig. Belohnung 40 $ , mit dem die Suche nach Harriet Taubman angekündigt wurde), sondern auch die Peitsche an der Wand neben dem Foto eines Sklaven, dessen Rücken übel zugerichtet worden war; daneben der einen Meter achtzig große Leinensack, der mit Baumwolle gefüllt und anschließend ausgeleert werden musste, wieder und wieder, den ganzen Tag lang; die Flugblätter, auf denen »hundert kräftige Neger« zum Verkauf angeboten wurden, oder die Quilts, auf denen Fluchtrouten oder andere Nachrichten eingestickt waren (Lesen und Schreiben war den Sklaven nicht gestattet). Nein, es war Joans Schilderung, wie sie selbst in den Sechzigern an der Seite von Martin Luther King Jr. auf die Straße gegangen war, um für die Bürgerrechte zu kämpfen, und ihre Verhaftung als Teenager. Es war ihre Freundschaft mit Emmett Tills Mutter, die diesem Thema eine tragische Kontinuität verlieh, eine ungebrochene Aneinanderreihung von Hass und Vorurteilen, die sich, so unglaublich es auch scheinen mag, wenn man inmitten dieser greifbaren Beweise des Hasses und der Vorurteile steht, bis zum heutigen Tag fortsetzt.
Als Psychiater waren wir mit den menschlichen Abgründen bestens vertraut. Und bis zu diesem Punkt unserer Reise hatte uns unsere Faszination von Eigentümlichkeiten vor Augen geführt, dass es sehr viele Menschen gibt, die mit geradezu obsessiver Hingabe die verrücktesten Ziele verfolgen. Joan jedoch ließ uns erkennen, dass es so
etwas wie eine noble Hingabe und Obsession gibt (im Gegensatz zu den albernen, wie beispielsweise schweres, unbequemes Mobiliar aus totem Meeresgetier zu bauen oder Jules Verne für verrückt zu halten, weil wir doch das Zentrum des Universums sind); dass es Dinge gibt, die es wert sind, sich ihrer mit aller Leidenschaft anzunehmen und sie mit großem Engagement zu verfolgen. Die Begegnung mit Joan ließ die Frage in uns aufkommen, ob auch wir jemals so etwas finden würden. Und, was noch wichtiger war, ob wir, wenn wir es gefunden hatten, dieselbe bemerkenswerte Entschlossenheit aufbringen würden, am Ball zu bleiben.
Als wir Memphis auf der I-40 verließen, wurde der Verkehr zunehmend dichter. Während wir hofften, unsere siebenstündige Fahrt nach Dallas möge sich nicht allzu sehr in die Länge ziehen, freute Tim sich ausnahmsweise darauf, bei Dunkelheit zu fahren - alles, nur damit meine panischen Anfälle nachließen, wann immer wir an einem der vielen Baustellenschilder vorbeifuhren (ganz zu schweigen von den stets präsenten, stets gefürchteten Betonleitpfosten).
Auf einem besonders besorgniserregenden Schild, das ich noch nie vorher gesehen hatte, war ein Pfeil abgebildet und darunter die Worte »ACHTUNG! ELEKTRISCHE LEITUNGEN«. Tim versuchte mich zu beruhigen, das Schild sei für viel höhere Fahrzeuge gedacht und nicht für unseren mickrigen Bus mit seiner lächerlichen Fahrzeughöhe von drei Metern fünfundsiebzig. Er versuchte es. Wirklich. Dann hörte mit einem Mal der Gegenverkehr auf. Schon bald sahen wir den Grund dafür: Ein Lastwagenfahrer hatte die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren, ein PKW hatte ihn gerammt, und nun blockierten die beiden ausgebrannten Fahrzeuge die Straße. Wir konnten
nicht sagen, ob jemand verletzt worden war, da der Unfall offensichtlich Stunden zurücklag. Ein
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