Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman
wie sich sein Gesicht aufhellte, merkte ich, daß er schon wieder in eine Illusion verstrickt war. Vermutlich glaubte er, ich würde eine große Reportage über ihn schreiben. Ich bat ihn, am Pressetisch Platz zu nehmen. Schon zum zweiten Mal versicherte ich, daß ich ihn von Fred Bertelmann nicht habe unterscheiden können. Aus Feigheit klappte ich meinen Stenoblock noch einmal auf und notierte ein paar seiner Sätze. Der Geschäftsführer öffnete eine weitere Flasche Sekt. Nach etwa zwanzig Minuten gelang es mir, die mir gegenübersitzende Frau Finkbeiner von der Allgemeinen Zeitung für Rauchfuß zu interessieren. Als er immer öfter in das Gesicht von Frau Finkbeiner redete, verließ ich unangenehm leise und unauffällig den Pressetisch.
Am folgenden Morgen rochen mein Sakko und meine Hose stark nach Rauch, Alkohol, Staub und Asche. Mutter lief an meinem Zimmer vorbei und sagte halblaut: Wo hat er sich nur wieder herumgetrieben. Es ärgerte mich, daß sie mich nicht direkt fragte. Ich überlegte, ob ich ungefragt das Zustandekommen meiner komplizierten Abende erklären sollte. Stattdessen sagte ich zu mir selber: Bald wirst du diese Bemerkungen in das leere Zimmer hineinsprechen müssen. Es war sonderbar, daß ich diese für meine Mutter bestimmte Drohung an mich selber gerichtet hatte. In dieser Sonderbarkeit beschloß ich, mir einen neuen Anzug zu kaufen. Ich fuhr mit der Straßenbahn in die Stadt und betrat die Herrenabteilung des erstbesten Kaufhauses. Von einem Verkäufer, der kaum älter war als ich, ließ ich mir ein paar Anzüge zeigen. Auch jetzt, als ich Anzüge anprobierte, redete ich wieder an Mutter hin. Wie hast du es lieber? fragte ich sie; soll ich mich in meiner stinkenden Berufskleidung von dir verabschieden, damit dir die Trennung leichter fällt? Oder in einem knitterfreien Straßenanzug, dessen Neuheit dich blenden wird? Ich probierte Diolen- und Trevira-Anzüge an, deren Glätte mir nicht gefiel. Es waren grünlich und braun changierende Straßenanzüge, die damals von fast jedermann getragen wurden. Ich mußte leise kichern, als ich merkte, daß auch die neue Kleidung stank. Was möchtest du lieber riechen? fragte ich Mutter. Alkohol und Asche oder den Kunstfasergeruch in nagelneuen Anzügen? Plötzlich, in der Umkleidekabine, blieb ich bei dem Wort Straßenanzug hängen. Es war dieses Wort, das seine Träger für die Straße passend machte. Es war das Wort STRASSENANZUG, das die Männer und die Straßen in einen unauflöslichen Zusammenhang brachte. Männer in Straßenanzügen wirkten wie kurz auferstandene Schatten, die sich rasch wieder abdunkelten und verschwanden, um an einer anderen Ecke als Straßenschatten im Straßenanzug wiederaufzutauchen. Wenn es das Wort Straßenanzug nicht gäbe, dachte ich, wären die drei Ausdrucksmomente Anzüge, Straßen und Männer nicht aufeinander beziehbar. Meine Einfälle beglückten mich. Als Kind hatte ich die Schuld häufig bei meiner Hose oder bei meiner Jacke gesucht, wenn ich mir Fremdheit erklären wollte. Ich erinnerte mich, wie ich als Kind mit den Eltern in die Stadt gehen mußte, um eingekleidet zu werden. Ich selbst konnte damals nicht sagen, welche Art von Kleidung mir gefiel. Auch die Eltern hatten keine Ahnung, aber sie taten so, als wüßten sie seit langer Zeit Bescheid. Ich setzte mich auf den kleinen Hocker in der Umkleidekabine, um meine Erinnerung besser aushalten zu können. Die Verkäufer konnten mir anlegen, was sie wollten, ich kam mir wie eine verkleidete Puppe vor. Ich wollte auch nicht, daß mich die anderen Menschen wegen der Neuheit meiner Kleidung extra anschauten. Genau dies geschah immer wieder. Einmal hatte ich einen Matrosenanzug, einen Strandanzug und einen Leinenanzug schon zurückgewiesen, da wurde Vater ärgerlich und befahl dem Verkäufer, er solle Lederhosen und Trachtenjacken herbeischaffen. Seit Vater in seiner Jugend einmal in Bayern gearbeitet hatte, gefiel ihm alles Bayerische sehr. Ich schlüpfte in eine Lederhose und in eine Trachtenjacke. Der Verkäufer brachte außerdem Hosenträger mit Hirschhornknöpfen an. Vater sagte, ich solle die neuen Sachen auf dem Heimweg gleich anbehalten. Ich sah im Gesicht des Vaters die Zufriedenheit. Das war ein seltener Anblick, den ich mich nicht zu stören traute. Mutter schwieg. Die Zufriedenheit des Vaters reichte hin, um sie freundlich zu stimmen. Schon auf dem Heimweg entdeckte ich, wie andere Menschen, Erwachsene und Kinder, heimlich ein bißchen über mich
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