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Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Titel: Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Und ich hätte Gelegenheit, weitere Zeichen für eine gewünschte oder bevorstehende Annäherung zwischen uns zu sammeln. Ich wollte Linda küssen, heute abend noch. Aber ich wollte mich auf keinen Fall offenbaren und dann zurückgewiesen werden. Allerdings wollte ich auch nicht mit dummen Liebeseinbildungen in diesem Lokal zurückbleiben. Mein Bedürfnis war gespalten. Die Sehnsucht wollte reden, das Verlangen drängte ins Bett. Ich überlegte, ob ich Linda zuflüstern sollte, daß ich eine besondere formale Idee für einen Roman hätte. Danach hätte ich sofort weiterreden müssen, um Linda zu hindern, sich genauer nach meiner formalen Idee zu erkundigen. Von allen Ideen war ich im Augenblick weit entfernt.
    Die drei Themen, über die ich erzählen konnte (ein bißchen Kindheit, ein paar Jahre Schule und dazwischen meine rätselhaften Eltern), kamen mir uninteressant vor. Ich hätte mich in ein Lügengespinst verstricken müssen, in dem ich mich bald selbst nicht mehr ausgekannt hätte. Während ich überlegte, verstummte ich und merkte es nicht. Plötzlich trat ein Kellner mit einem Stapel großer weißer Teller an unseren Tisch. Als er vor Linda ein Gedeck abstellen wollte, hob sie die Hand und sagte: Vielen Dank, ich muß leider noch zu einem anderen Termin. Obwohl sie mein Begehren durchkreuzte, bewunderte ich Lindas Direktheit. Herr Oelke hielt sich mit beiden Händen am Mikrofon und sang Oh mein Papa , was bist du für ein schöner Mann . Ein anderer Ober erschien und teilte Bestecke und weiße Servietten aus. Der Oberkellner servierte jedem Pressevertreter einen aufgeschnittenen Hummer, etwas gedünstetes Gemüse und ein paar Kroketten. Als Linda aufstand und ging, hatte ich das Gefühl einer Niederlage. In diesen Augenblicken begann Herr Oelke zu wanken. Während des Singens, Tanzens und Drehens hatte er ein wenig das Gleichgewicht verloren. Aus dem Publikum ertönten einzelne Schreie. Eine Frau erhob sich und rief zur Bühne hoch: Du blöder Hund, komm runter. Herr Oelke hörte nicht und setzte seine Darbietung fort. Die Frau kam nach vorne zur Bühne und rief: Los, komm runter, du Arschgeige. Einige Journalisten und zwei der Jurymitglieder lachten. Herr Oelke driftete nach links ab, fing sich dann aber wieder. Der Conférencier eilte mit einem Stuhl auf die Bühne. Herr Oelke drängte zurück zum Mikrofon, der Conférencier hielt ihn davon ab. Die Frau stürmte auf die Bühne und hielt Herrn Oelke fest. Der Conférencier witzelte herum, ließ Herrn Oelke aber nicht aus den Augen. Die Frau drückte Herrn Oelkes Körper auf den Stuhl. Er saß jetzt schwer atmend am Rand der Bühne. Aus dem Publikum meldete sich ein Arzt. Die Leute klatschten und erhoben sich von den Plätzen. Der Arzt öffnete Herrn Oelke das Hemd und fächelte ihm mit einer Speisekarte frische verbrauchte Luft ins Gesicht. Herr Oelke hob seine Hand und winkte ins Publikum. Die Frau sagte zu Herrn Oelke: Jetzt hat dein Arsch Feierabend. Der Conférencier kündigte den nächsten Künstler an, einen Zauberer. Die Frau und der Arzt schlangen sich die Arme von Herrn Oelke um den Hals und schleppten ihn das Treppchen am Bühnenrand hinunter.
    Zwei Stunden später rechnete die Jury ihre Punkte zusammen und ermittelte den Gewinner des Abends. Er hieß Karl Rauchfuß, war siebenunddreißig Jahre alt, von Beruf Fensterputzer. Er hatte den Lachenden Vagabunden vorgetragen und hatte damit so viel Erfolg, daß er das Lied zweimal wiederholen mußte. Die Jury gratulierte, der Geschäftsführer überreichte Blumen und eine Flasche Sekt. Herr Rauchfuß war über das Tempo der Preisverleihung und mehr noch über ihre geringe Ausbeute verdutzt. Viel schneller, als er denken konnte, häuften sich seine Enttäuschungen. Er wartete schauend und hoffend, daß ihn der Herr von der Künstleragentur zu seiner Stimme beglückwünschte und ihm den Schallplattenvertrag anbot, den der Conférencier im Verlauf des Abends so oft im Mund geführt hatte. Stattdessen sagte ihm der Geschäftsführer, daß der Herr von der Künstleragentur schon nach Frankfurt abgereist war. Ich bereute, daß ich Linda nicht gefolgt und ebenfalls verschwunden war. Ich hätte am nächsten Morgen den Geschäftsführer anrufen und mir von ihm den Namen des Gewinners sagen lassen können. Stattdessen erhob ich mich jetzt von meinem Platz und mußte es zulassen, daß mir Herr Rauchfuß vorgestellt wurde. Er schöpfte Hoffnung, als er hörte, daß er mit einem Pressevertreter redete. An der Art,

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