Eine Frau flieht vor einer Nachricht
vorsichtiges »Schalom«. Er hat mich angeschaut, als würde er mich gleich hier auf dem Gehweg flachlegen, diesen Hunger in ihm kannte ich so gut. Aber ich wollte auch, dass er Adam anschaut. Ausgerechnet an dem Tag war Adam erkältet und verknautscht, mit verklebten Augen, doch Ilan warf einen so schnellen Blick auf ihn, dass ich dachte, er kann kaum was gesehen haben.
Doch wie so oft hatte ich mich getäuscht. Er sagte »das ist er«, schwang sich aufs Motorrad und brauste mit Vollgas davon und weckte Adam auf.
Erst als er längst weg war, überfiel es mich, dass er etwas völlig anderesgemeint hatte, ich zog Adam alle seine Hüllen aus, schaute mir genau sein Gesicht an und erkannte zum ersten Mal, dass er dir ähnlich sah.
Avram reckt den Kopf, schaut sie überrascht an.
Etwas in den Augen, murmelt sie und reibt ihre Fingerkuppen aneinander, etwas im Gesamtausdruck. Frag mich nicht, wie das sein kann. Sie lacht auf, vielleicht hab ich ein bisschen an dich gedacht, als wir ihn gemacht haben, was weiß ich, übrigens kann ich bis heute manchmal eine gewisse Ähnlichkeit zu dir erkennen.
Wie das? lacht Avram verlegen, und er stolpert fast.
Gibt es in der Natur nicht so was wie Inspiration?
Nicht Inspiration, sondern Induktion, sagt er schnell, in der Elektrizität gibt es so etwas, dass ein Magnet einen Stromfluss erzeugt.
Hey, Avram, sagt sie zart.
Was?
Nichts weiter … Hast du keinen Hunger?
Nein, noch nicht.
Willst du einen Kaffee?
Vielleicht gehn wir erst noch ein bisschen weiter? Das hier ist ein guter Weg.
Ja, sagt sie, wirklich ein guter Weg.
Sie läuft vor ihm, streckt die Arme zur Seite, atmet die klare Luft ein.
Und eine Woche später rief Ilan an, erzählt sie, um halb zwölf nachts, ich hab schon geschlafen, und fragte ohne Umschweife, ob es für mich in Ordnung wäre, wenn er in den Schuppen im Hof ziehen würde.
In den Schuppen? Avram verschluckt sich fast.
In den Schuppen, du weißt schon, wo das ganze Gerümpel steht, wo dein Tonstudio war.
Ja. Aber wie …
Ich habe nicht einmal einen Augenblick nachgedacht und gesagt, er soll kommen. Ich erinnere mich, ich hab den Hörer aufgelegt, mich im Bett aufgesetzt und mir gedacht, dieses Spiel, das wir schon zwei Jahre lang spielen, passt gut zu uns, dieses Stoß-weg-zieh-her, das in ihm wirkt, und diese Anziehungskraft, die Adam auf ihn ausübt.
Auch deine, sagt Avram, ohne sie anzuschauen.
Meinst du? Ich weiß nicht … Jetzt hört man nur ihre Schritte. Ora probiert im Stillen die Worte: Meine Anziehungskraft. Sie muss lachen. Es tut gut, sich daran zu erinnern. Nie zuvor hatte sie diese Kraft so gespürt wie in diesen Tagen, als Ilan ihretwegen quer durch die ganze Stadt zog.
Gut, seufzt sie (bis Bolivien und Chile hat er sich jetzt entfernt, leicht und luftig, ohne Gepäck, wieder Junggeselle). Am nächsten Morgen ging ich in den Schuppen und fing an, ihn auszuräumen. Uraltes Gerümpel und Dreck hab ich rausgeschmissen, das war ja die Rumpelkammer von all den Leuten, die irgendwann in deinem Haus gewohnt haben, und ich hab auch die Kisten mit deinen Hörspielen gefunden, die Texte und die Tonbänder. Die hab ich aufgehoben. Alle deine Sachen hab ich aufgehoben. Die sind bei mir, falls du sie mal …
Die kannst du wegwerfen.
Nein, nein, ich werfe nichts weg. Wenn du willst, dann wirf sie selber weg.
Und was gibt’s da noch?
Tausende von Blättern mit deiner Handschrift. Vielleicht zehn Kisten. Kaum zu glauben, lacht sie, als ob du von dem Moment, als du zur Welt gekommen bist, nur dagesessen und geschrieben hast.
Später, nach einem Schweigen, das einen ganzen Hügel und ein halbes Wadi dauert, sagt Avram: Also, dann hast du den Schuppen ausgeräumt …
Ich hab da ein paar Stunden gearbeitet, und Adam rannte inzwischen nackt auf der Wiese herum, überglücklich, vielleicht spürte er, dass etwas passierte, ich habe ihm nichts erklärt, denn ich hab es auch mir selbst nicht richtig erklären können.
Als schon ein großer Haufen auf dem Weg vor dem Schuppen lag, hab ich mich da hingestellt und mir das Zeug mit so einer hausfraulichen Befriedigung angeschaut, und plötzlich gab es mir einen Stich ins Herz – wie hieß noch diese Frau in der Geschichte von Cocteau?
Ich glaub, sie hatte keinen Namen, sagte Avram.
Zu Recht. Sie hat es nicht anders verdient.
Avram lacht aus seinen Tiefen. Etwas in ihr kitzelt.
Dann hab ich alles wieder reingeräumt. Adam muss gedacht haben, ich bin verrückt geworden. Ich hab alles wieder
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