Eine Frau flieht vor einer Nachricht
reingeworfen und die Tür kaum mit der Schulter zudrücken und abschließen können, und ich spürte, ich hatte mich vor einer sagenhaften Blamage gerettet.
Ein paar Tage später, am Laubhüttenfest, als ich mit Adam bei meinen Eltern in Haifa war, kam Ilan, räumte den Schuppen selber aus und brachte seine eigenen Sachen. Er hat auch jemanden geholt, der ihm eine Kochecke und ein Klo eingebaut hat, und schloß sich an mein Strom- und Wassernetz an. Als ich zurückkam, nachts, Adam schlief auf meinem Arm, sah ich schon von weitem die Müllhaufen und das Gerümpel neben der Mülltonne stehen. Ich ging über den Plattenweg durch den Garten zum Haus und sah Licht im Schuppen, und ich hab nicht nach links und nach rechts geschaut – der helle Wahnsinn, was soll ich dir sagen, Avram.
Dann begannen Tage, ich weiß gar nicht, wie ich dir davon erzählen soll. Es war eine Qual. Ich war hier und er dort. Gerade mal zwanzig Meter zwischen uns. Wenn bei ihm das Licht anging, bin ich gleich auf meinen Beobachtungsposten am Fenster hinter der Gardine, vielleicht krieg ich ja einen Zipfel von ihm zu sehen. Bei ihm klingelt das Telefon, und ich bin wortwörtlich ganz Ohr.
Ab und zu sah ich ihn morgens, wie er sich leise davonmachte, kurz nach Sonnenaufgang, damit er mich Gott behüte nicht mit Adam trifft. Meistens kam er auch erst sehr spät nach Hause, dann floh er geradezu über den Weg, mit seiner Studententasche unterm Arm, rannte um sein Leben. Ich wusste nicht, was er den ganzen Tag macht, ob er eine Freundin hat, wo er sich nach der Uni aufhält, um nicht hier zu sein, während Adam und ich wach sind. Ich wusste nur, drei- bis viermal die Woche war er bei dir. Das war die einzig sichere Sache: dass er sich an den Tagen, wo ich nicht kam, um dich kümmerte.
Du erinnerst dich bestimmt nicht, aber ich habe damals auf alle mögliche Weise versucht, dich dazu zu bringen, mir was von ihm zu erzählen, um ein paar Informationen zu klauen. Kannst du dich daran erinnern?
Avram nickt.
Du erinnerst dich wirklich?
Mach weiter, ich werd später …
Adam hab ich gesagt, da sei ein Mann, der jetzt bei uns im Schuppen wohne. Er fragte, ob der unser Freund ist, und ich sagte, das sei noch nicht ganz klar. Er fragte, ob er ein guter Mensch ist. Ich sagte, im großen Ganzen ja, obwohl er seine eigene Art hat, das zu zeigen. Adam wollte ihn natürlich sofort besuchen. Aber ich erklärte ihm, er sei furchtbar beschäftigt, man könne ihn nicht besuchen, denn er sei nie zu Hause. Adam war bezaubert von dieser Neuerung und vielleicht auch davon, dass es da einen Mann gab, der nie zu Hause war. Jedes Mal, wenn wir draußen gewesen waren und zurückkamen, zog er mich zum Schuppen. Er malte Bilder und wollte sie dem Mann im Schuppen schenken. Die ganze Zeit kickte er den Ball zum Schuppen. Er stand da und streichelte mit beiden Händen Ilans Motorrad und die Kette, mit der er es am Gartentor festgeschlossen hatte.
Manchmal hab ich mit ihm im Garten gespielt, beim Schuppen, oder ich hab ihm in einem großen Bottich ein Bad gemacht, oder ein Picknick auf der Decke auf dem Rasen, und er fragte jede Minute: »Sieht uns der Mann?« »Sollen wir ihn nicht einladen?« »Wie heißt er denn?«
Als ich mich schließlich geschlagen gab und ihm den heiligen Namen offenbarte, fing er an, »Ilan, Ilan« zu rufen, sie macht es vor, legt die Hände um den Mund und ruft, Ilan, Ilan. Avram schaut sie an.
Du musst verstehen, bis dahin hatte er so einen sechsten Sinn, das Wort »Papa« überhaupt nicht zu lernen, und jetzt fing er an, mit echter Hingabe »Ilan« zu rufen. Morgens schlug er die Augen auf und fragte nach Ilan. Er kam aus der Krabbelgruppe zurück und wollte wissen, ob Ilan schon von der Arbeit zurück sei. Nachmittags stand er auf dem Balkon, der zum Garten hinausgeht, hielt sich am Geländer fest, rüttelte mit aller Kraft daran und schrie »Ilan«, hundertmal, tausendmal, er gab nicht auf, bis ich ihn reinholte. Manchmal hab ich ihn wirklich mit Gewalt ins Haus gezogen.
Weißt du, erst jetzt, wo ich das erzähle, kapier ich, was ich ihm da angetan hab.
Ich hab damals nicht nachgedacht, verstehst du?
Ilan und ich waren …
Du musst das verstehen.
Wir waren in so einer Spirale des Wahnsinns.
Alle meine vermeintlich natürlichen Instinkte …
Hör zu, ich hab keine Ahnung, wo ich damals war.
Es ist, als hätte es mich überhaupt nicht gegeben.
Das war nicht die übliche Art, wie es Adam zu Männern hinzog – Ora nahm den Faden nach
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