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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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mich ganz heiß auf Ilan gemacht hat, erinnert sie sich mit leiser Freude, wie Ilans Geruch, den ich an Adam roch, mich nachts aufgeweckt hat –, die ganze Zeit hab ich mich gefühlt, als wäre er nur zwei Meter von mir entfernt.
    Als sie das sagt, hört sie plötzlich im Kopf den Tonfall, mit dem Ilan sie während ihrer gemeinsamen Jahre am Telefon angesprochen hat, so eine entschlossene Schärfe, die einen schüttelte: Ora! Manchmal, wenn er sie so rief, meldete sich bei ihr ein unerklärliches Schuldgefühl – wie bei einem Soldaten, der beim Wacheschieben eingeschlafen ist und dessen Kommandant sich nun auf ihn stürzt. Aber meistens schwang, wenn er sie ansprach, auch ein gewisser Wagemut in seinerStimme, etwas Provozierendes, Erregendes, das zu einem Abenteuer einlud: Ora! Sie lächelt vor sich hin; »Ora!«, als machte er damit eine unerschütterliche Feststellung, die sie selbst oft angezweifelt hatte.
    Also hab ich die Starke gespielt und ihn ganz cool gefragt, was ist denn los, Ilan, spielst du jetzt so eine Art Monopoly , kaufst und verkaufst Häuser in allen möglichen Straßen der Stadt? Oder sehnt sich mein gebildeter Freund ein bisschen nach Hause? Da sagte er mir, ohne zu zögern, ja, seit er ausgezogen war, sei es für ihn kein Leben mehr. Er werde ganz verrückt. Und ich hörte mich sagen, dann komm doch zurück, und sofort dachte ich – nein! Ich brauch ihn hier nicht, und ich will ihn hier auch nicht haben, ich will überhaupt keinen Mann, der mir hier rumrennt.
    Hey, da bist du ja, sagt sie, lächelt erleichtert, als Avram für einen Moment die schweren Lider hebt und der alte Funke sich frech in seinen Blick schleicht.
    Manchmal, hatte Ilan ihr damals am Telefon gesagt, fahr ich nachts zu dir. Da packt mich plötzlich so eine Kraft, die weckt mich auf, schmeißt mich aus dem Bett, um ein oder zwei Uhr nachts, und ich steh auf wie ein Zombie, steig aufs Motorrad und fahr zu dir und weiß, noch ein paar Minuten, dann bin ich bei dir, in deinem Bett, und fleh dich an, dass du mir verzeihst, dass du vergisst, dass du meinen Wahnsinn ausradierst, und dann, nur noch zwanzig Meter von deinem Haus entfernt, beginnt die entgegengesetzte Kraft, immer an derselben Stelle auf der Straße, als ob sie mich da umpolen, ich spür das im Körper: Da reißt mich etwas zurück und sagt zu mir, weg hier, mach, dass du wegkommst, es ist nicht gut, dass du hier bist …
    Das passiert dir wirklich? fragte sie.
    Ich werde wahnsinnig, Ora, ich habe ein Kind und bin nicht fähig, es zu sehen?! Bin ich denn noch normal? Und ich habe dich, und ich weiß tausendprozentig, dass du der einzige Mensch bist, mit dem ich leben kann und leben will, die Einzige, die mich ertragen kann, und was mach ich? Ich habe gedacht, ich müsste einfach hier abhauen, ganz weg hier, vielleicht nach England und dort studieren, ein bisschen Luftveränderung, aber das kann ich ja auch nicht! Wegen Avram kann ich nicht abhauen! Ich weiß nicht, was ich machen soll, sag du mir, was soll ich machen.
    Und da, sagt Ora zu Avram, als er mir das sagte, da kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass du wirklich der Grund für seine Flucht von uns warst; aber vielleicht auch die Ausrede.
    Ausrede wofür?
    Wofür, stößt sie unangenehm spöttisch hervor, für seine Angst, mit uns zusammenzuleben, zum Beispiel, mit mir und mit Adam. Oder einfach für seine Angst, überhaupt zu leben.
    Das versteh ich nicht.
    Ach, sie schüttelt heftig den Kopf, ihr zwei.

    Er hat ein Haus am Spielplatz gemietet, weißt du, an dem von der Elterninitiative, ganze hundert Meter unüberwindbare Luftlinie von unserem Haus entfernt, erzählt Ora, und dann hat er vielleicht drei Wochen lang nicht angerufen. Davon wurde ich wieder ein Nervenbündel, und das übertrug sich sofort auf Adam. Ich hab ihn stundenlang im Kinderwagen spazieren gefahren, im Ort und drum herum, nur dann hat er sich ein bisschen beruhigt, und welche Route ich auch nahm, am Ende kam ich immer zu Ilans Haus.
    Avram läuft neben ihr her, den Kopf gesenkt, er sieht sie nicht an, sieht auch nicht in die Gegend, er sieht die junge Frau, einsam und getrieben mit einem Kinderwagen. Er führt sie auf den Wegen des Ortes, in dem er seine Jugend verbracht hat, auf der Kreisstraße und den Nebenstraßen, vorbei an Häusern und Höfen, die er kennt.
    Einmal sind wir uns tatsächlich begegnet. Er kam aus dem Haus, und wir trafen zufällig am Gartentor zusammen. Wir blieben beide wie angewurzelt stehn und sagten so ein

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