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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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klopft damit gegen die Zähne. Sein Versprecher eben hat sie durcheinandergebracht. Sie muss sich anstrengen, wieder dahin zu gelangen, wo sie vorher gewesen ist.
    Ofer kam ganz normal zur Welt, die Geburt war nicht schwer und ging sehr schnell. Vielleicht zwanzig Minuten nachdem Ilan mich ins Krankenhaus gebracht hatte, in die »Hadassa« auf dem Scopusberg. Wir kamen gegen sieben Uhr morgens, etwa um sechs hatte ich beim Schlafen einen Blasensprung gehabt.
    Nicht genau beim Schlafen, schreibt sie und schielt zu Avram hinüber, doch der ist noch immer in den Himmel vertieft, versunken in einen Gedanken, der ab und zu den Schilfstengel in seinem Mund hüpfen lässt , da war etwas, und das Wasser ging mir im Bett ab. Als ich kapierte, dass es das war und nichts anderes, was unter diesen Umständen auch in Frage gekommen wäre, haben wir uns schnell fertiggemacht. Ilan hatte schon vorher Taschen für mich und für sich gepackt, alles lief nach Plan, schriftliche Anweisungen, Telefonnummern, Telefonmünzen etc., Ilan ist eben Ilan. Wir riefen Ariela an, dass sie auf Adam aufpasst und ihn nach dem Aufwachen in den Kindergarten bringt. Er hat die ganze Nacht geschlafen und nichts mitgekriegt.
    Ofer kam um sieben Uhr fünfundzwanzig morgens zur Welt. Es war eine normale und sehr kurze Geburt. Ich kam und gebar. Sie hatten mich gerade mal fertig vorbereitet, mir einen Einlauf gemacht und mich auf die Toilette geschickt. Ich hatte einen starken Druck im Bauch, und als ich mich auf die Klobrille setzte, spürte ich, wie er kam! Ich hab nach Ilan geschrien, der kam rein, hob mich so, wie ich war, hoch, legte mich aufs nächstbeste Bett im Flur und rief nach der Schwester. Zusammen haben sie mich rennend in den großen Kreißsaal geschoben, in dem ich übrigens auch Adam zur Welt gebracht habe (im selben Raum!), und nach dreimal Pressen war er da!
    Ihr Gesicht strahlt, sie lächelt Avram großzügig an. Er antwortet ihr mit einem überraschten Lächeln.
    Ofer wog zwei Kilo und vierhundert Gramm. Ziemlich groß für meine eher beschränkten Verhältnisse. Adam hatte noch nichtmal zwei Kilo auf die Waage gebracht (dazu fehlten ihm 30 Gramm!). Aber seitdem haben sich meine beiden ganz schön gemausert.
    Das war’s. Genau das hatte sie schreiben wollen. Sie atmet tief durch. Schon dafür hat es sich gelohnt, das Notizbuch den ganzen Weg mitzutragen. Jetzt ist sie bereit, etwas zu essen. Ein plötzlicher Hunger beißt in ihr. Doch sie saugt noch einen Moment an dem Kuli und überlegt, ob es über die Geburt nicht noch etwas zu erzählen gibt. Sie schüttelt ihre angestrengte Hand. So ein Gymnasiastenschmerz, denkt sie sich, wann kam es überhaupt noch vor, dass sie etwas mit der Hand schrieb?
    Die Hebamme hieß Fadwa oder Nadwa. Jedenfalls kam sie aus Kfar Rami, und in den zwei Tagen, die ich dort war, habe ich sie nochmal getroffen, und wir haben uns ein bisschen unterhalten. Ich wollte wissen, wer die junge Frau ist, deren Hände Ofer als Erste berührt hatten. Eine ledige junge Frau. Stark, sehr feministisch und scharfsinnig, dass einem angst wird. Und auch saukomisch. Sie hat mich dauernd zum Lachen gebracht.
    Ofers Füße waren etwas bläulich. Als er zur Welt kam, hat er kaum geweint, nur so einen kurzen Ton von sich gegeben, dann war er still. Er hatte riesige Augen. Ganz und gar Avrams Augen.
    Sie macht eine kleine Taschenlampe an und liest, was sie geschrieben hat. Vielleicht noch ein bisschen ausführlicher? Sie liest nochmal, der Stil gefällt ihr sogar. Sie weiß, was Ilan sagen würde. Er würde ihr die Ausrufezeichen wegstreichen, aber Ilan wird das wohl nicht lesen.
    Trotzdem, vielleicht kann man es noch ein bisschen ausbauen? Mit Tatsachen, nicht mit Beschönigungen. Was war da noch? Aus irgendeinem Grund kehrt sie noch einmal zu Adams Geburt zurück, einer langen und schweren Geburt. Sie hatte versucht, den Hebammen und Schwestern zu gefallen, wollte so sehr, dass die ihre Leidenskraft schätzen und sie bei ihren Gesprächen im Schwesternzimmer als Musterbeispiel hinstellen würden, im Vergleich mit anderen Gebärenden, die schrien, jammerten und manchmal auch fluchten. Wie viel Energie hatte sie in den wichtigsten Momenten ihres Lebens darauf verwendet, sich einzuschleimen, denkt Ora traurig. Ihre Beine kribbeln schon. Sie probiert einen anderen Felsen aus, und noch einen, setzt sich dann wieder auf die Erde. Keine idealen Bedingungen für autobiografisches Schreiben, denkt sie.
    Nach ein paar Minuten haben sie

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