Eine Frau flieht vor einer Nachricht
einer gewissen Sicherheit voraussagen. (Das hat übrigens auch Ilan zugegeben; es ist also nicht nur meine berüchtigte Naivität.) Ich hatte mir gedacht, hier ist einer, bei dem man es riskieren kann vorherzusagen, was für ein Mensch er sein wird, wenn er mal groß ist, wie er in allen möglichen Situationen reagieren wird. Einer, bei dem man sicher sein konnte, dass es mit ihm unterwegs keine Überraschungen gab. [Apropos Überraschungen: Ich habe noch gar nicht geschrieben, dass ich gerade in Galiläa bin, in einem Wadi, und Avram (!) liegt nicht weit von mir (!!). Er schläft gerade oder schaut in die Sterne.]
Sie atmet tief ein und begreift im Grunde erst jetzt, dass sie hier ist. So weit weg von ihrem Leben. Ihr Herz fließt über vor Dankbarkeit gegenüber diesem Dunkel voller Pfeifen und Grillenzirpen und gegenüber der Nacht selbst. Das erste Mal, seit sie aufgebrochen sind, hat sie das Gefühl, von der Nacht mit einer Art großzügiger Weichheit aufgenommen zu werden. Die Nacht scheint bereit zu sein, sie auf dem Grund dieses abgelegenen Wadis vor den Augen aller zu verbergen, und kostenlos gibt sie ihr noch Bäume und Büsche dazu, die nun ihren scharfen, süßen Duft verbreiten, den Nachtfaltern entgegen.
Ich hole etwas weiter aus. Nach der Geburt: Ilan stand neben uns und schaute uns an. Er hatte einen merkwürdigen Blick. Tränen in den Augen. Das weiß ich noch, denn als Adam zur Welt kam, war er cool und funktionierte perfekt (und ich kapierte nicht, dass genau dies ein Anzeichen für das war, was er ausbrütete). Aber bei Ofer sind ihm die Tränen runtergelaufen, und ich dachte, das ist ein gutes Zeichen, denn ich hatte die ganze Schwangerschaft über Angst gehabt, er würde mich noch einmal direkt nach der Geburt verlassen, und diese Tränen haben mich ein bisschen beruhigt.
Sie atmet schnell. Ihre Lippen sind leicht geöffnet, ihre Nasenlöcher weiten sich. Ohne nachzudenken, fügt sie im selben Schwung hinzu: Gerade wenn er lacht, sieht Ilan traurig und manchmal sogar ein bisschen grausam aus (seine Augen bleiben dabei irgendwie so fern), und wenn er weint, sieht er immer aus, als ob er lacht.
Zunehmend wird ihr klar: Mit jedem Satz, den sie schreibt, verliert sie noch einen potenziellen Leser.
Und plötzlich hab ich kapiert, dass Ilan und ich mit dem Baby allein sind. Ich erinnere mich, mit einem Mal war es ganz still, und ich hatte Angst, er würde versuchen, witzig zu sein. Denn wenn Ilan unter Druck ist, muss er sofort um jeden Preis etwas Superschlaues sagen, und das passte mir in dem Moment gar nicht. Ich wollte nichts, was unsere ersten gemeinsamen Momente so grell störte.
Aber diesmal war Ilan wirklich weise und schwieg.
Er setzte sich neben uns und wusste nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte. Ich sah, er fasste Ofer nicht an. Dann sagte er: »Er hat so einen beobachtenden Blick«, und ich freute mich, dass dies die ersten Worte waren, die er über Ofer sagte, die überhaupt jemand auf der Welt über ihn sagte. Ich werd sie nie vergessen.
Ich nahm Ilans Hand und legte sie auf Ofers Hand. Es fiel ihm schwer, das spürte ich, und Ofer reagierte sofort. Sein Körper zog sich zusammen. Ich verschränkte meine Finger mit Ilans Fingern, und wir strichen gemeinsam über Ofer, hin und her. Ich hatte schon beschlossen, dass er Ofer heißen würde. In der Schwangerschaft hatte ich mir noch andere Namen überlegt, aber in dem Moment, wo ich ihn sah, wusste ich, die passen nicht. Ich sagte zu Ilan: Ofer. Und er stimmte sofort zu. Ich merkte, ich könnte ihn auch Melchisedek oder Kedor-Laomer nennen, Ilan würde alles akzeptieren, und das gefiel mir nicht, denn ich kenne Ilan ein bisschen, Gehorsam ist nicht seine starke Seite, und ich war, wie gesagt, bereits misstrauisch.
Da sagte ich, ruf ihn bei seinem Namen, und Ilan murmelte ein etwas farbloses »Ofer«. Und ich sagte zu Ofer: Das ist dein Papa, und ich spürte, wie Ilans Finger in meiner Hand erstarrten. Ich dachte, pass auf, jetzt wiederholt sich alles. Er wird aufstehn und gehn, das ist bei ihm so ein Reflex, mich zu verlassen, wenn ich Junge kriege. Plötzlich blinzelte Ofer ein paarmal, alsermuntere er Ilan, doch endlich was zu sagen! Und Ilan hatte schon keine Wahl mehr. Er lächelte schief und sagte: Hör zu, Junge, ich bin dein Papa, und damit basta. Keine Widerrede.
Sie hebt den Kopf zu Avram, lächelt zerstreut, mit einem Funken fernen Glücks, und seufzt.
Was ist? fragt Avram.
Das tut gut.
Avram setzt sich
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