Eine Frau flieht vor einer Nachricht
schwieg, doch sie verstand und sagte, sie wisse es nicht. Sie wisse nicht, was sie fühle. Er nickte vor sich hin, als tue es ihm gut, sich mit ihren Worten Schmerz zuzufügen. Sie sah, wie seine braunen Schläfen und die ihr zugewandte Wange bleich wurden, und staunte, wie jedes Mal, zu entdecken, wie teuer und wichtig sie ihm war, und wie sehr er gleichzeitig in ihr die einfache Sicherheit verhinderte, die dieses Wissen ihr hätte geben können.
Er sagte, ein verdammtes Stück Arbeit ist dieses Leben, und sie sagte, wie in einem dunklen Steinbruch kommt es mir vor, schon ein paar Jahre lang, seit dem Krieg, seit Avram fühle ich mich, als müssteich graben und auf allen vieren im Dunkeln kriechen. Aber erzähl mir, was war noch, worüber habt ihr geredet. Hör zu, er hat richtig gebettelt, dass wir ihn alleinlassen. Wir sollen vergessen, dass es ihn überhaupt gegeben hat. Sie lachte: Avram vergessen? Na klar doch.
Und habt ihr darüber gesprochen? Sie wies auf ihren Bauch, und Ilan sagte, er hat mich fast geschlagen, als ich versucht habe, etwas zu sagen. Getobt hat er. Physisch. Er wird wahnsinnig, wenn er daran denkt, auf dieser Welt ein Kind zu haben. Und Ora dachte, etwas zu haben, das ihn hier hält.
Ilan murmelte: Als ob er schon auf dem Weg nach draußen war, und mit dem Ärmel an einem Nagel in der Tür hängengeblieben ist.
Für einen Augenblick fühlte sich Ora, als hätte sie wirklich einen Nagel in der Gebärmutter.
Sie schaltete das Licht aus, und sie lagen still da, spürten, wie sich die Wolken des gestrigen Glücks auflösten. Der Mund füllte sich mit Eisengeschmack, mit dem Geschmack von etwas, was nicht wieder gutzumachen war, auch in Zukunft nicht. Ich dachte, das könnte es ihm gerade leichter machen, sagte Ora, ihn sogar retten, verstehst du, es würde ihn wieder mit dem Leben verbinden. Davon will er nichts hören, sagte Ilan, zitierte Avram mitsamt der Härte in dessen Stimme: Von diesem Kind nichts hören und nichts sehen und nichts wissen, gar nichts.
Sie fragt, aber du, was willst du?
Dich.
Sie hatte noch viele Fragen, wagte nicht, sie zu stellen, wusste nicht, ob ihm klar war, auf was er sich da einließ, und ob er es nicht morgen schon bereuen würde. Doch die Entschlossenheit, die wie ein Glühfaden in ihm aufleuchtete, hatte etwas, was sie nicht kannte, und sie dachte, vielleicht könne er es gerade so, mit dieser Verwicklung, durchstehen. Vielleicht sogar nur so.
Und ich habe ihm auch versprochen, Ilan verschluckte diese Worte fast, er hat darum gebettelt …
Worum? Ora stützte sich auf einen Ellbogen und prüfte sein Gesicht im Dunkeln.
Dass wir nichts davon sagen werden, niemals.
Wem?
Niemandem.
Auch nicht dem …
Niemandem.
Ein Geheimnis? Ein Kind von Anfang an mit einem Geheimnis großziehen?
Sie ließ sich zurückfallen, hatte das Gefühl, jemand versuche, eine Trennwand zwischen sie und das Fischlein in ihrem Bauch zu schieben. Sie wollte weinen und hatte keine Tränen. Vor ihren Augen zogen die Gesichter ihrer Verwandten vorüber, vor denen sie das Geheimnis würde bewahren müssen, die sie ihr Leben lang anlügen müsste. Mit jedem von ihnen hatten die Lüge und das Geheimnis einen anderen Geschmack des Schmerzes. Sie spürte, wie sich das dunkle Bergwerk in weitere dunkle Stollen und Gänge verzweigte, in denen sie zu ersticken drohte. Ich bin nicht in der Lage, ein solches Geheimnis für mich zu behalten, sagte sie, du kennst mich doch. Aber Ilan kniff die Lider zusammen, sah Avram, das Flehen in seinem Gesicht, und sagte zu Ora, das sind wir ihm schuldig, und Ora hörte, nimm eine Mütze und zwei gleiche Zettelchen.
Ilan streckte einen Arm zu ihr aus und umfasste ihre Schulter. Näher kamen sie sich nicht. Sie lagen auf dem Rücken und starrten zur Decke, seine Hand leblos unter ihrem Nacken, und beide wussten, was gestern Nacht im Schuppen passiert war, würde sich bis zur Geburt nicht wiederholen, und vielleicht auch danach nicht. Adam stieß in seinem Zimmer im Schlaf eine Kette erregter Wörter aus, sie lauschten, und Ora spürte, wie viel Kälte sich hinter ihren Augen angesammelt hatte; das Geheimnis und das Geheimhalten fingen bereits an, sie zu verbiegen und zu entstellen.
Ilan schlief ein und atmete erstaunlich still, er hinterließ keine Kratzer in der Luft. Als er eingeschlafen war, wurde es ihr etwas leichter. Sie stand leise auf, ging in Adams Zimmer, setzte sich auf den Boden und lehnte sich an das Regal gegenüber seinem Bett. Sie
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