Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Autorität ihres Bauches schob sie ihn ein bisschen zur Seite und trat ein.
Von wann ist das, stieß er hervor und ließ sich aufs Bett fallen.
So lebst du hier? sagte sie und fuhr mit dem Finger über die Bücher auf dem Bord. Schadensrecht, Allgemeine Schadensrechtlehre las sie mit Nachdruck, warf einen heimlichen Blick in das große Spiralheft, das offen auf seinem Tisch lag, Eigentumsrecht, Familienrecht. Ilan, der Student, sagte sie und spürte einen Schmerz, denn immer hatte sie davon geträumt, dass sie zusammen studieren würden, das heißt, zu dritt, und hatte gehofft, dass sie ihre Stunden und Tage mit ihnen beiden auf dem Givat Ram Campus verbringen würde, in Vorlesungen, in der Bibliothek, auf den Wiesen, in der Cafeteria, doch sie hatte ihr Studium abgebrochen, als Avram zurückkam, und wer weiß, wann sie es wiederaufnehmen wird, was würde sie jetzt überhaupt studieren – zur Sozialpädagogik wollte sie nicht zurück, sie hatte nicht die Kraft, monate- und jahrelang gegen Bürokratie und staatliche Stellen anzukämpfen. Sie konnte jetzt keinerlei Berührung mit Abgebrühtheit, Willkür und Gemeinheit ertragen, nach dem Krieg, nach Avram, und aufgrund ihrer Erfahrung in dem einen Jahr mit ihrem Projekt ahnte sie schon, wie bei jedem Treffen mit dem Verantwortlichen für das Sozialreferat des Bezirks diese Echos wieder in ihr hochkommen würden; andererseits zog es sie auch zu nichts Theoretischem oder Abstraktem. Etwas mit den Händen wollte sie machen, oder mit dem Körper, etwas Einfaches, Eindeutiges, Spürbares, mit Berührung und ohne viele Worte, vor allem ohne Worte. Vielleicht ihre Jugendkarriere als Sportlerin wieder aufnehmen, diesmal als Lehrerin, oder sich um Menschen kümmern und ihre körperlichen Schmerzen lindern, warum nicht, so wie sie es mit Avram in den Jahren gemacht hatte, in denen er im Krankenhaus war, aber das alles wird wohl noch ein bisschen aufgeschoben, und zu deiner Frage, antwortete sie geradezu fröhlich, das ist schon fast drei Monate her.
Und du bist dir sicher, dass es von ihm ist?
Ilan!
Ilan senkte den Kopf und schaute auf seine Hände. Er musste jetzt erstmal verdauen und bei der Verkündigung ihrer Schwangerschaft gab es viel zu verdauen. Plötzlich fühlte sie sich wichtig. Schicksalsträchtig. Sie konnte sogar gelassen sein. Sie schaute ihn lange an, und das erste Mal war sie ihm fast dankbar für das, was er mit seiner Flucht für sie getan hatte. Erheitert beobachtete sie das Hin und Her der verschiedenen Gesichtspunkte hinter seiner glatten Stirn. Bei Ilan, dachte sie, gibt es immer verschiedene Gesichtspunkte und Gegenaspekte, vor allem Gegenaspekte.
Und was sagt er?
Er will mich nicht mehr sehen. Sie zog sich den einzigen Stuhl heran und setzte sich in völliger Leibes- und Seelenruhe hin, ihre Beine kannten das Maß, in dem sie sich bei einer Frau in ihrem Zustand spreizten: Er will, dass ich abtreibe.
Nein! schrie Ilan, sprang vom Bett auf und ergriff mit beiden Händen ihre Hand.
Hey, Ilan, sagte sie leise, schaute ihm in die Augen und erschrak beim Anblick des Abgrunds: da gab es nichts mehr abzuwägen und keine Interessen, nur ein nacktes, quälendes Dunkel: Behalt das Kind, flüsterte er fiebernd, bitte, Ora, unternimm gar nichts, und tu ihm nichts an.
Es kommt im April, sagte sie, und dieser einfache Satz erfüllte sie mit unbeschreiblicher Kraft: Wie ein Stempeleindruck, der einen heimlichen Bund besiegelte, den sie in diesem Moment kraft der Worte zwischen ihrem Körper, dem Baby und der Zeit selbst geschaffen hatte. Vielleicht wird es ja ein Mädchen, dachte sie. Das erste Mal wagte sie diesen Gedanken. Bestimmt wird es ein Mädchen, sagte sie aufgeregt. Sie hatte plötzlich ein ganz klares Gefühl, so ein Kneifen der Intuition eines winzigen Mädchens, das in ihr schwamm.
Ora, sagte Ilan und schaute auf seine Füße, was meinst du …
Was?
Ich hab mir gedacht, jetzt spring nicht gleich auf, hör mich bis zum Schluß an.
Ich höre.
Ilan schwieg.
Was wolltest du mir sagen?
Ich möcht zurück nach Hause.
Zurück? Jetzt? Sie kam völlig durcheinander.
Ich möchte, dass wir wieder zusammen sind, sagte er, und sein Gesicht erstarrte, wurde immer härter und widerlegte gleichsam seine Worte.
Aber jetzt?
Ich weiß, das ist …
Mit dem Kind von …
Wärst du denn bereit?
Alles, was sie in all den Jahren irgendwie in sich zurückgehalten hatte, brach jetzt aus ihr heraus. Sie schluchzte, Ilan packte sie und gab ihr Halt; seine
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