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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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lauschte seinem unruhigen Schlaf, dachte an die Jahre, in denen sie ihn alleine großgezogen hatte, und was sie in diesen Jahren einander gewesen waren. Sie umschlang ihren Körper und spürte, wie in ihr das Blut wieder zu fließen begann. Ich werde noch Zeit haben, alles, was hier geschieht, zu verstehen, dachte sie, wir müssen nicht alles heute Nachtlösen. Sie stand auf, legte Adam die weggestrampelte Decke wieder über und streichelte seine Stirne, bis er ruhig schlief. Dann ging sie zurück ins Bett und dachte an das Fischlein, bestimmt ein Mädchen, und wie es das Leben aller verändern würde; vielleicht würde es ihr sogar gelingen, Avram zu verändern. Allein durch ihre Existenz. Ora dämmerte ein und dachte noch, Adam und Ilan müssten jetzt von Beginn an lernen, Vater und Sohn zu sein. Einen Moment vor dem Einschlafen lächelte sie: Sie sah Ilans Zehen unter der Decke hervorschauen.

    Sie kommt eilig aus dem Gebüsch zurück, Steinchen spritzen unter ihren Füßen weg. Avram schaut sie an, und sie zeigt mit dem Blick auf das Notizbuch, ihr sei noch etwas eingefallen, er solle warten.
    Sie schreibt.
    Nachdem er geboren war, noch bevor sie die Nabelschnur durchgeschnitten hatten, hab ich die Augen geschlossen und dir gesagt, du hast einen Sohn bekommen. Masal Tov, Avram, hab ich gesagt, du und ich, wir haben einen Sohn.
    Seitdem hab ich mich oft gefragt, wo du in dem Moment warst, was genau du getan hast. Hast du etwas gespürt? Denn wie ist es möglich, nichts zu spüren, nicht mit seinem siebten oder achten Sinn zu wissen, dass einem so etwas passiert.
    Sie beißt in den Kuli. Zögert, dann wirft sie es mit einem Satz aufs Papier : Ich will wissen, ob es möglich ist, dass du es nicht spürst oder nicht mitkriegst, wenn dein Sohn, sagen wir, irgendwo verletzt wird.
    Etwa zwei Stunden nach der Geburt, als wirklich endlich alle weg waren, auch Ilan war weggefahren, um es Adam zu erzählen, da hab ich mit Ofer gesprochen. Ich hab ihm einfach alles erzählt. Hab ihm erzählt, wer Avram ist, was er mir bedeutet und was Ilan.
    Jetzt fliegt der Kuli über die Seiten mit einer Schnelligkeit, als würde sie Salat schneiden. Sie zieht die Lippen ein.
    Ich staunte, wie einfach die Geschichte war, als ich sie ihm erzählte. Das war das erste (und wohl letzte) Mal, dass ich so über uns denken konnte. Aus dieser ganzen Verwicklung, die Avram und Ilan und ich waren, war plötzlich ein kleines, eindeutiges Kind geworden, und die Geschichte war nun ganz einfach.
    Avram gießt Kaffee in die Becher und reicht ihr einen. Sie unterbricht ihr Schreiben und lächelt ihn an. Danke. Er nickt, bitte. Einen Augenblick lang steigt von ihnen das entspannte, kesselartige Brummen eines Paares auf. Sie hebt den Blick erstaunt und zerstreut kehrt sie zu ihrem Notizbuch zurück.
    Ich war mit ihm allein im Zimmer und habe ihm alles ins Ohr geflüstert. Kein Wort sollte ungeschützt im Freien sein. Eine Art Infusion mit seiner Geschichte. Er lag ganz still da und hörte zu. Schon da hatte er riesige Augen. Er lauschte mit offenen Augen, und ich hab ihm ins Ohr gesprochen.
    Sie spürt auf den Lippen die Wärme der Berührung, ihren Mund an der zarten Ohrmuschel.
    Wenn du da dabei gewesen wärst, wenn du uns bloß dort gesehen hättest, alles wäre anders geworden. Da bin ich mir sicher. Auch für dich. Es ist dumm, so etwas zu denken, klar, aber in dem Zimmer herrschte so eine …
    Ich weiß noch nicht mal, wie ich das nennen soll. So eine Gesundheit herrschte da. Diese ganze Verwicklung hatte etwas Gesundes, und ich spürte, wenn du nur kämst und für einen Augenblick mit uns hier stündest, oder wenn du auf der Bettkante bei uns sitzen und Ofer berühren würdest, nur seine Zehen, ich weiß, du wärst geheilt gewesen und endlich von dort zurückgekehrt.
    Die Wörter sprudeln nur so hervor. Es ist ein scharfes, festes, genau zu ortendes Gefühl: Solange sie schreibt, geht es Ofer gut.
    Wenn du damals gekommen wärst und dich auf die Bettkante gesetzt hättest, dann hättest du Ofer genau das sagen können, was Ilan ihm gesagt hat: »Ich bin dein Papa und damit basta. Keine Widerrede.« Das hätte ihn nicht verwirrt. Er wäre da einfach hineingeboren worden, wie ein Kind, das in zwei Sprachen hineingeboren wird und gar nicht weiß, dass es sich an etwas Besonderes gewöhnen muss.
    Sie probiert den Kaffee, er ist lauwarm. Schon abgekühlt. Sie lächelt ihn aufmunternd und dankbar an, doch er hat das kleine Beben ihres Mundes schon bemerkt,

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