Eine Frau flieht vor einer Nachricht
bewaffneten Cowboys beendet war – Vegetarismus auf der einen Seite, auf der anderen dieses Tötenwollen. Sie verweilt dort einen Augenblick. Wie er immer wieder misstrauisch sein Butterbrot untersucht hatte. Die Zöllnermine, die sein kleines Gesicht sich aufsetzte. Das Feilschen um die genaue Uhrzeit, wann sie ihn aus dem Hort der Raubtiere wieder abholen würde. Wie er sich, wenn sie ihn auf dem Fahrrad dorthin brachte, immer verzweifelter an ihren Rücken klammerte,je näher sie kamen und je lauter das Johlen der anderen Kinder zu hören war. Und diese wilde Vorstellung, die er damals hatte, so zumindest wollte sie die Sache sehen, dass die anderen Kinder ihn die ganze Zeit mit Absicht berührten und mit ihrer Wurstspucke anspuckten.
Tag für Tag hatte sie ihn dort, an den Maschendrahtzaun geklammert, zurückgelassen, von Tränen und Rotz verschmiert, laut weinend, die Drahtschlaufen drückten sich in seine Wangen, und sie hatte ihm den Rücken zugewandt, sich davongeschlichen und sein Weinen noch stundenlang gehört; je weiter sie sich vom Kindergarten entfernte, umso lauter hörte sie ihn schreien. Wenn sie ihm mit vier Jahren nicht zu helfen gewusst hatte – sie war hilflos gegenüber dem, was in ihm vorging –, was sollte ihm dann jetzt diese lächerliche, pathetische Wanderung helfen, ihr Quatschen mit Avram, ihr abwegiger Pakt mit dem Schicksal? Sie läuft weiter, die Beine werden immer schwerer, gehorchen ihr kaum noch. Es ist gut, ein bisschen vor den Nachrichten zu fliehen, hatte der Mann gesagt, vor allem nach dem, was gestern war. Wie viele? Wer? Hat man die Familien schon benachrichtigt? Lauf schnell nach Hause, sie sind schon unterwegs zu dir.
Sie läuft und nimmt kaum noch etwas wahr, fällt durch die Weite eines unendliches Raumes. Sie ist ein Menschenflöckchen. Auch Ofer ist ein Menschenflöckchen. Den Fall kann sie nicht aufhalten, noch nicht einmal verlangsamen. Auch wenn sie ihn geboren hat, obwohl sie seine Mutter ist und er aus ihrem Bauch geschlüpft ist, sind sie doch in diesem Moment nur zwei schwebende Menschenflöckchen, die durch einen gewaltigen, endlos großen, leeren Raum fallen. Und letztlich, spürt Ora, ist alles so dermaßen zufällig.
Etwas bringt ihre Schritte durcheinander, eine leichte Rhythmusstörung der Beine, und plötzlich eine schmerzhafte Verkrampfung zwischen Hüfte und Leistengegend.
Warte, Avram, renn nicht so.
Es sieht so aus, als genieße gerade Avram diesen schnellen Abstieg sehr, den kühlenden Wind, der ihm ins Gesicht bläst, aber sie bleibt bei einer Kiefer stehen, hält sich am Stamm fest, schmiegt sich an ihn.
Was ist los, Orale?
Orale nennt er sie, das ist ihm rausgerutscht. Beide blicken sich für einen winzigen Moment an.
Ich weiß nicht, ich glaub, wir sollten ein bisschen langsamer gehen.
Sie geht mit kleinen, vorsichtigen Schritten, versucht den gequälten Hüftmuskel zu meiden, und Avram neben ihr. Das Orale hüpft noch wie ein fröhliches Lämmchen zwischen ihnen hin und her.
Manchmal hatte ich so eine Phantasie, dass du verkleidet auftauchst oder in einem Taxi an dem Spielplatz sitzt, zu dem ich immer mit Ofer gegangen bin, und uns aus der Ferne zuschaust. Hast du so etwas je gemacht?
Nein.
Kein einziges Mal?
Nein.
Hast du nie wissen wollen, wie er aussieht, wie er so ist?
Nein.
Du hast ihn ganz aus deinem Leben geschnitten.
Genug, Ora. Damit sind wir durch. Sie schluckt, das schmeckt doppelt bitter, auch weil dieses »durch sein« plötzlich von Ilan zu Avram übergelaufen ist.
Ich hatte manchmal so ein Gefühl im Rücken, ganz plötzlich, etwas zwischen Kitzeln und Stechen, ja – sie zeigt ihm die Stelle –, aber ich hab mich nicht umgedreht, mit aller Gewalt hab ich mich nicht umgedreht sondern mir still und idiotisch beherrscht gesagt, dass du hier irgendwo bist, irgendwo um mich herum, und uns zuschaust. Können wir mal kurz stehnbleiben?
Nochmal?
Ich weiß nicht. Hör zu, das ist nicht in Ordnung.
Dass ich nicht gekommen bin …
Nein, dass wir hier wieder runtergehen. Zurückgehen ist für mich nicht gut.
Fällt dir der Abstieg schwer?
Das Zurückgehen fällt mir schwer, im Körper. Alles verkrümmt sich dabei, keine Ahnung.
Seine Arme baumeln. Er steht da und wartet auf Anweisungen. In solchen Momenten, hat sie das Gefühl, ist sein Wille sofort weg. ImNu verschwindet er, und Avram umgibt sich mit einer undurchlässigen Hülle: Keinen Kontakt mit dem Leben.
Hör mal, Avram, ich glaube …
Was.
Ich kann
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