Eine Frau flieht vor einer Nachricht
ebendiesen Tagen im Bett lag, gelähmt vom Schrecken der Schwangerschaft, die dort immer gewaltiger heranwuchs.
Und wie er gebetet hat, dass die Schwangerschaft nichts wird.
Und wie er in allen Details geplant hat, sein Leben loszulassen, wenn er von der Geburt des Kindes erfahren wird.
Wie er die Tage gezählt hat, die ihm, nach seiner Rechnung, noch blieben.
Und wie er schließlich nichts getan hat.
Hatte er sich doch auch in Gefangenschaft, und noch mehr nach seiner Rückkehr, im letzten Moment immer an Thales, den griechischen Philosophen und Helden seiner Jugend gehalten, der gesagt hatte, es gebe keinen Unterschied zwischen dem Leben und dem Tod,und der, als man ihn fragte, warum er dann nicht den Tod wähle, geantwortet hatte, gerade weil es keinen Unterschied mache.
Ora kichert: Wir haben ihn Winzi genannt, Adam hat das für ihn erfunden. Wen habt ihr Winzi genannt? Ofer. Ich versteh nicht, Ora. Als er noch im Bauch war, sagt sie, so ein vorläufiger Name für die Zeit der Schwangerschaft, weißt du. Nein, murmelt Avram, er gibt sich geschlagen, ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts. Ich habe keine Ahnung.
Sie legt ihm die Hand auf den Arm, nicht doch, bittet sie. Was nicht, fragt er ärgerlich. Quäl dich nicht mehr als nötig.
Trotzdem, sagt er später, Ofer ist ein guter Name.
So ein israelischer Name, sie geht darauf ein, und ich mag auch das »o« und das »e« darin. Wie in »Morgen« und in »Fohlen«.
Avram sieht ihre schöne Stirn, die Helligkeit, die sie jetzt umgibt. Wie in »hoffen«, denkt er, wagt es aber nicht auszusprechen.
Und er ist auch gut für Kosenamen, sagt sie.
Auch daran hast du gedacht?
Und auch, dass es auf Englisch »offer« ist, so weich und offen, so ein richtiges Angebot.
Er lacht beeindruckt: Du bist schon toll.
Sie beherrscht sich, erzählt ihm nicht, dass sie sich auch überlegt hat, wie dieser Name im Bett klingen würde, aus dem Mund der Frauen, die ihn lieben würden; sie hatte ihn sogar heimlich ausprobiert. Ofer, Ofer, hatte sie gestöhnt und über ihre innere Überflutung gelacht, als in ihr alles durcheinanderkam.
Kosenamen, natürlich, murmelte er, daran hab ich nicht gedacht. Und auch Beleidigungen, sagt er, damit er sich nicht auf alle möglichen Flüche reimt.
Die Weide, auf der sie gehen, grün und eben, gepunktet mit schwarzen und weißen Kühen, steigt plötzlich zu einem steilen Berg an. Sie seufzen, und ächzen, greifen nach den Ästen, die sich ihnen entgegenstrecken. Wenn ich eine Tochter hätte, denkt sie – ich hätte einige Dinge in meinem Leben korrigieren können, wenn ich eine Tochter gehabt hätte, und sie versucht, Avram das zu erklären, doch er versteht es nicht, zumindest nicht so, wie sie es gern hätte, nicht so, wie er sie früher sofort verstanden hatte, nur mit einer Anspielung und einemleisen Zucken im Gesicht: Dinge, von denen sie früher gehofft hatte, sie könne sie mit Hilfe ihrer eigenen Kinder an sich selbst verändern, doch das war nicht passiert.
Avram fragt noch einmal, was für Dinge, und es fällt ihr schwer, das zu erklären. Wieder denkt sie an Ofers Talia, wie alle Männer in der Familie ihr entgegenkamen, wie problemlos und freudig sie ihr all das gaben, was sie Ora nicht gegeben hatten. Und sie sagt zu Avram, erst vor einer Weile, als Adam und Ofer schon erwachsen waren, habe sie kapiert, dass ihr diese Änderung, diese Korrektur nicht mehr durch ihre Söhne zuteil werden wird; plötzlich war ihr klargeworden, erst so spät, dass sich nicht durch sie etwas in ihr lösen würde. Vielleicht weil sie Jungen sind, sagt sie, und vielleicht auch einfach, weil sie sind, wie sie sind, keine Ahnung. Und sie verstummt, rudert schwer atmend den Abhang hoch und denkt, sie haben mich nicht wirklich gesehen und waren auch nicht wirklich großherzig, nicht so, wie ich es gebraucht hätte, und jetzt brennt, stark wie noch nie, in ihr der Gedanke, dass sie nie ein Mädchen haben wird.
Ich hab das nicht richtig aufgeschrieben, sagt sie traurig eine Weile später, beim Abstieg, auf dem Rückweg zu dem vergessenen Notizbuch. Überhaupt hab ich die meiste Zeit den Eindruck, dass ich das Wichtigste gar nicht rüberbringen kann. Nicht beim Schreiben und nicht, wenn ich dir erzähle. Alle Einzelheiten von Ofer möchte ich erzählen, die Fülle seines Lebens, die Geschichte seines Lebens, und ich weiß, das ist unmöglich, unmöglich, und trotzdem, genau das muss ich jetzt für ihn tun. Ihr Reden verlischt, geht über in
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