Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
Vom Netzwerk:
krank?
    Ja.
    Ich glaub, er ist schlimmer dran als wir beide.
    Ja.
    Meinst du, er – ich meine, ist er in Gefahr?
    Was weiß ich?
    Aj, entfuhr es Ora aus tiefstem Herzen, wenn ich doch jetzt für einen ganzen Monat schlafen könnte, für ein Jahr, Mensch!
    Ora?
    Was …
    Nichts.
    Jetzt sag schon und nerv nicht …
    Aber er ist hübsch, nicht wahr?
    Keine Ahnung. Hab nicht geguckt.
    Gib’s zu, er ist hübsch.
    Nicht so ganz mein Geschmack.
    Schön wie ein himmlischer Engel.
    Ja, ist gut, wir haben’s vernommen.
    Die Mädchen bei uns sind ganz verrückt nach ihm.
    Das ist aber aufregend.
    Sogar Mädchen aus der achten Klasse.
    Vielleicht hörst du mal auf?
    Und, hast du mit ihm gesprochen?
    Er hat geschlafen, wenn ich’s doch sag! Der hört gar nichts.
    Ich meinte, hast du zu ihm gesprochen? Hast du ihm was erzählt?
    Lass mich in Ruh, jetzt schalt mal ab.
    Dann hast du ihm was erzählt.
    Das geht dich nichts an.
    Du hast dich zusammen mit ihm hypnotisiert, nicht wahr?
    Lass mal locker, ja? Gott im Himmel!
    Und sag mir …
    Was jetzt noch?
    Willst du ihn nochmal sehn?
    Nein!
    Vielleicht wir beide zusammen …
    Lass mich in Ruh, du …
    Wo sind die Streichhölzer?
    Keine Ahnung.
    Hier, auf dem Bett. Neben dir.
    Jetzt gib endlich Ruhe.
    Was ist das?
    Was?
    Die Schachtel.
    Was ist damit?
    Die ist leer.
    Quatsch.
    Da ist nur noch ein Streichholz drin.
    Kann nicht sein.
    Die Schachtel war voll …
    Warum lachst du? Warum?
    Nur so.
    Du bist das größte Arschloch, glaub mir. Du spielst mit Gefühlen anderer, genau das.

    Ora?
    Was?
    Hat er die Augen aufgemacht? Hat er dich auch gesehn?
    Ich hör dich noch nichtmal. Ich hör gar nichts. Hier: Ta-ta-ta-ta-ta-
    Aber hat er dir was gesagt? Hat er zu dir gesprochen?
    On a wagon bound for market/ There’s a calf with a mournful eye.
    Sag mir bloß, ob er geredet hat.
    High above him there’s a swallow/Winging swiftly through the sky.
    Warte, ist das nicht das Lied?
    Welches Lied?
    Das du gesungen hast.
    Als du mich geweckt hast?
    Das ist es, ich schwör’s dir …
    Bist du sicher?
    Nur dass du es so gebrüllt hast, dass man gar nichts verstehen konnte.
    Dieses Lied …
    On a wagon bound for market, donna donna donna?
    Hab ich gesungen …
    Geschrien hast du es, als ob du mit wem streitest …
    Ora spürte, sie löste sich von sich selbst und schwebte irgendwo an einem Ort, der kein Ort war, und dort ist Ada, und sie gehen zusammen und singen zusammen dieses Lied, das Ada so mag, und ihre Mutter auch, sie hat es manchmal beim Abwaschen auf Jiddisch gesungen. Das Lied von dem Kälbchen, das zur Schlachtbank geführt wird, und von der Schwalbe über ihm im Himmel, die es verspottet und sich danach aufschwingt und fröhlich und leichten Herzens weiterfliegt.
    Avram, sagte Ora plötzlich erschüttert, geh. Geh!
    Aber was hab ich denn jetzt getan?
    Ich muss schlafen.
    Warte einen Moment, was bist du …
    Nein, geh. Und zwar sofort.
    Moment, dräng nicht so …
    Und nimm den da mit!
    Aber was ist denn plötzlich passiert?
    Geh, Avram. Ich muss jetzt schlafen, schnell!
    Sag mir nur noch, was passiert ist.
    Ich will …
    Was?
    Ich muss sie jetzt träumen …

    Und später, schon gegen Morgen, stand sie plötzlich in der Tür von Zimmer drei und flüsterte Avrams Namen, und er schreckte aus dem Schlaf: Was machst du hier? Sie sagte, sie könne nicht einschlafen, ihr sei so heiß, als würde man sie in der Pfanne braten. Er setzte sich ans Ende seines Bettes, machte ihr neben sich Platz und schwieg, und sie sagte traurig, ich hab noch nie so jemanden wie dich getroffen, und korrigierte sich, so einen Jungen wie dich. Zusammengesunken saß er da und murmelte, und, hast du von ihr geträumt? Und sie sagte, nein, ich konnte nicht einschlafen. Ich wollte so sehr, dass ich nicht konnte. Er fragte: Aber warum wolltest du, was war so … Sie sagte, ich muss ihr etwas Wichtiges sagen, und er, was, und sie verächtlich, dir werd ich nichts mehr erzählen, und er senkte ergeben den Kopf. Ora kratzte sich am Oberschenkel, bis es weh tat, mit zehn Fingernägeln, und dachte, was hab ich getan, wie hab ich es überhaupt wagen können, ich bin doch total verrückt.
    Sag mal, sagte Avram müde und lustlos, willst du ihn nochmal sehn? Und sie, spinnst du eigentlich, oder was? Ich rede über dich, und du zeigst mir die ganze Zeit ihn, du schiebst ihn die ganze Zeit zwischen uns, wieso machst du das? Aus Trotz? Und er: Ehrlich? Keine Ahnung, es ist immer, es rutscht mir einfach so raus. Und ihr entfuhr

Weitere Kostenlose Bücher