Eine Frau flieht vor einer Nachricht
bringen kann?
Dieses junge Mädchen, denkt sie und reißt sich von ihrem Ort los, die, die er früher mal erwähnt hatte, die Kleine, bringt die dich zum Lachen?
Sie kommen zu einem Wasserbecken und tauchen nach kurzem Zögern unter, Ora im Slip – ein Kompromiss zwischen ihren sich widersprüchlichen Wünschen und Befürchtungen – und Avram mit allen Kleidern und nach ein paar Augenblicken nur noch in Hosen. Hier ist sein Körper, leuchtend bleich, von Narben und Schorfkrusten gefleckt, dicker, als sie sich erinnert, aber auch kräftiger, als sie ihn sich vorgestellt hat. Gerade in seiner Nacktheit strahlt er eine Stärke, etwas überraschend Breitgebautes aus. Er entscheidet sich natürlich, wie immer, nur »das Dicke« zu sehen, das sich ihrem Blick offenbart, kneift entschuldigend eine Speckfalte zwischen den Fingern, bietet sie ihrem Blick dar und zuckt mit den Schultern, das sind nun mal die nackten Tatsachen. Und sie, woran erinnert sie sich? Wie er beim Anblick ihres nackten Körpers: Großer Gott, Orale, welch ein Liebreiz! gerufen hatte. Außer Avram kannte sie niemanden, der dieses Wort je verwendete, das nur in Gedichtbänden und ihrem »Almanach« lebte, oder er hatte, wiehernd wie ein Pferd oder brüllend wie ein Löwe, seinen großen Kopf über ihr geschüttelt, oder wie der alte Kapitän Cat aus Unter dem Milchwald von Dylan Thomas geschrien; leg dich nieder, lass mich landen,/lass mich scheitern in deinen Lenden.
Sie taucht in das nicht sehr tiefe Wasser, und vor ihr hüpft dunkel sein froschartiger Körper. Ein alter Schmerz steigt auf, Erinnerungen an Zeiten, wo dieser schwere, faltenreiche, ungepflegte Körper zu einem Glühfaden entflammte, dann hatte sie sein Gesicht in beide Hände genommen und ihn gezwungen, ihr in die Augen zu schauen, solange er konnte, sie offen zu halten, hatte sich ganz in seine Augenversenkt und einen Blick gesehen, dessen fernes Ende völlig offen war, geradezu endlos, und hatte gewusst, es gibt einen Ort, an dem sie ganz und gar und bedingungslos geliebt wird, wo alles, was sie ist, dankbar und mit Freuden angenommen wird.
Ora war das Zentrum, die Quelle; auch das eine Neuerung, die von ihm kam: Nicht Avram, auch nicht Ora-und-Avram, sondern Ora war der Ort ihres Liebesspiels. Viel mehr als in seinem, trafen sich ihrer beider Begierden in ihrem Körper; nach ihrer Lust sehnte er sich so viel mehr als nach seiner eigenen. Das machte sie staunen und störte sie manchmal – jetzt lass mich mal dir was Gutes tun, drängte sie ihn dann, du sollst auch mal richtig genießen –, und er hatte gelacht, aber wenn du es genießt, genieße ich es am meisten, spürst du das nicht? Sah man ihm das nicht an? Sie spürte es und sah es, aber verstehen konnte sie es nicht. Was für ein Altruismus ist das? hatte sie sich empört. Was für ein Altruismus? Er hatte sie frech angegrinst und gesagt, der pure Egoismus, und sie hatte zögernd gelächelt, wie immer, wenn sie einen Witz nicht verstand, und weiter sein Lecken und Streicheln genossen und gespürt, dass sie hier einen Hinweis auf etwas Kompliziertes und Verbogenes bei ihm erhalten hatte. Um Avram zu verstehen, um Avram wirklich zu erkennen, hätte sie beharren und nachfragen müssen, doch seine Küsse waren süß, sein Lecken ließ die Erde beben, und jedes Mal gab sie nach, nie war es der richtige Zeitpunkt, und so hatten sie letztlich nie darüber gesprochen.
Wäre es aber umgekehrt gewesen – sie hörte Avram laut planschend aus dem Wasser steigen, schade, sie hätte gern ein bisschen Spaß mit ihm gehabt (doch er schien nicht interessiert), und jetzt würde sie vor seinen Augen nackt aus dem Wasser steigen müssen –, wäre es umgekehrt gewesen, er hätte nicht lockergelassen, jeden Krümel einer Antwort, die sie ihm anvertraute, hätte er untersucht und gedeutet und bestaunt, er hätte sich an ihn erinnert, ihn jedes Mal von neuem umgedreht und wieder anders betrachtet. Sie steigt eilig aus dem Wasser, hüpft von einem Bein aufs andere und hält frierend die Hände vor den Busen. Der war jetzt natürlich noch mehr geschrumpft, wo ist das Handtuch, verdammt nochmal, warum hat sie es nicht schon vorher rausgelegt?
Avram wirft ihr ein Handtuch zu und schaut fast nicht hin. Ihre Zähne klappern »danke«, mit dem Rücken zu ihm trocknet sie sich abund erinnert sich, wie er ihr, als sie neunzehn war, gesagt hatte, ihre Brüste seien absolut perfekt, denn sie passten genau in seine Hände. Er bestand darauf, von dem
Weitere Kostenlose Bücher