Eine Frau flieht vor einer Nachricht
seinerNarben, auf den Armen, der Schulter, der Brust und dem Rücken, und eine überraschende kleine Welle der Freude durchströmt ihn, dass Ofer unversehrt ist, dass sein Körper so unversehrt ist. Ora erzählt weiter, von seiner ersten Kinderfrau, einer Sonja, die ihn betreute, als er eineinhalb Jahre alt war. Viel zu spät stellte sich heraus, dass sie apathisch, womöglich sogar depressiv war, völlig unempfindlich für ihn und seinen Charme. Ich kann mir das nicht verzeihen, sagt sie, dass ich das nicht früher gemerkt habe und Ofer nicht geglaubt habe. Der hatte geweint, wenn er sie am Morgen sah, und wir dachten, er sei einfach verhätschelt und werde sich mit der Zeit schon an sie gewöhnen. Ein halbes Jahr hat sie ihn betreut, ein halbes Jahr lang war er Tag für Tag jeden Morgen allein mit ihr zu Hause, fünf Stunden am Tag, das muss für ihn eine Ewigkeit gewesen sein, und diese Sonja hat wohl kaum mit ihm gesprochen. Ich stell mir das vor, bei so einem Kind wie Ofer, das die ganze Zeit seine Gefühle ausdrückt, und das ein halbes Jahr lang!
Avram streckt seine Hand zu ihr aus, um ihre Schulter zu berühren, zu trösten. Er traut sich nicht, fürchtet, einen Fehler zu machen. Welches Recht hat er, sie wegen dieses einen Fehlers zu trösten, denkt er. Er, der nichts und damit alles falsch gemacht hat.
Ich erzähle nur so ganz kleine Geschichten, sagt sie immer wieder, sag, wenn dir das auf die Nerven geht.
Doch Avram scheint immer wacher zu werden: Er will wissen, wann Ofer sprechen gelernt hat, in welchem Alter, und was sein erstes Wort war. »Abba«, Papa, sagt Ora, doch Avram versteht sie nicht oder er hat nicht richtig gehört und fragt erstaunt: Avram? Dann kapiert er, und beide lachen. Sofort will er natürlich auch wissen, was Adams erstes Wort war. » Or «; sie spürt, wie er die naheliegende Frage runterwürgt, »Licht«, nicht »Mama«? Doch Avram sagt: » Or «, das ist schon fast »Ora«, und daran hatte sie noch nie gedacht; sie erinnert sich, dass Ofer immer behauptet hat, seine ersten Worte seien wie die eines Außerirdischen gewesen: »Bringt mich zu eurem Anführer.« Ora erinnert ihn an die schwere Kommode seiner Mutter, die als Wickeltisch für beide Kinder gedient hatte, und an das schwarze Regal, in dem alle ihre Kinderbücher standen. Sie kann sich noch an recht viele der Geschichten erinnern, die sie ihnen vorgelesen hat, sie kann sie noch auswendig:»Wenn es ein Summgeräusch gibt, dann macht jemand ein Summgeräusch, und der einzige Grund, ein Summgeräusch zu machen, den ich kenne, ist, dass man eine Biene ist. Und der einzige Grund dafür, eine Biene zu sein, den ich kenne, ist, Honig zu machen.« Sie erklärt dem unwissenden Avram, dass dies die tiefen Gedanken von Pu dem Bären sind, und sie lächelt im Stillen: »Und der einzige Grund, Honig zu machen, ist, damit ich ihn essen kann.«
Dann versucht sie, sich den kleinen Ofer gebadet, gewickelt und bettfertig vorzustellen, wie er den Kopf an Avrams Schulter lehnt und einer Geschichte lauscht. Ofer trägt das grüne Pyjama mit den Mondsicheln, aber sie kann nicht sehen, was Avram anhat. Es gelingt ihr noch nicht einmal, Avram richtig zu sehen, sie spürt nur seine körperliche Präsenz und wie Ofer sich an ihn schmiegt. Avram hätte ihm Abend für Abend eine neue Geschichte erfunden, davon ist sie überzeugt, er hätte ihm eine richtige Show gemacht. Bestimmt hätte er sich gelangweilt, wochenlang Abend für Abend dieselbe Geschichte vorzulesen, wie Ofer es damals verlangte. Jetzt erinnert sie sich auch an Ilans besondere, geheimnisvolle weiche Stimme, die einem die Bauchhöhle erbeben ließ, mit der er den Jungs vor dem Schlafengehen Geschichten vorlas, doch davon erzählt sie Avram nicht, erinnert sich nur um ihrer selbst willen und um Ofers willen, wie gern Ilan die Jungs ins Bett gebracht hatte. Sogar beim schlimmsten Stress im Büro war er immer rechtzeitig nach Hause gekommen um ihr zu helfen, die Kinder ins Bett zu bringen, und sie hatte sich so gerne dazugelegt, mit ihm und den Jungs die Flügel aneinander gerieben und ihm zugehört, wie er vorlas.
Der Weg ist einfach und bequem zu laufen, Avram streckt die Arme seitlich aus, staunt, wie angenehm sich die Pumphose auf der Haut anfühlt – dreimal hat Ora die Hose umgeschlagen, bis sie ihm passte. Bei meiner Erdnussgröße, hatte er lachend gesagt. Sie erzählt von der Krabbelgruppe, in die Ofer ging, und von seinem ersten Freund, Joel, der nach einem Jahr mit
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