Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
Vom Netzwerk:
brachten, stand ich über seinem Bettchen und habe ihn angeschaut. Er schlief, winzig klein, aber mit einem großen Kopf und einem roten, etwas verkrampften Gesicht und ein paar geplatzten Äderchen auf den Wangen, von der Anstrengung der Geburt, und sein Fäustchen neben dem Gesicht geballt. Wie ein kleiner Boxer sah er aus, klein und furchtbar wütend, als konzentriere er sich auf eine Wut, die er von wer weiß woher mitgebracht hatte.
    Aber vor allem, sagt sie, sah er einsam aus, als sei er von irgendeinem Stern gefallen, und das einzige, was er wusste, war, dass er sich hier vom ersten Moment an schützen müsse.
    Dann kam Ilan rein, stellte sich neben mich und umfasste meine Schultern, und wir schauten ihn zusammen an. Das war so anders, als das Mal, wo wir Adam nach Hause brachten.
    Avram betrachtet sie, alle drei, reißt seinen Blick aber sofort wieder los und zitiert laut aus dem Brief, den Ilan an die Tür von Adams Zimmer gehängt hatte: Die Hotelleitung erwartet von ihren Gästen, das Hotel bei Erreichen des achtzehnten Lebensjahres zu verlassen!
    Und da erzählte mir Ilan auch, fährt Ora fort, dass er sich, wenn man ihn beim Militär in eine neues Camp versetzte, wo er keinen kannte und auch keinen kennen wollte, als Erstes im abgelegensten Zimmer, im letzten Winkel ein Bett gesucht und die ersten Stunden schlafend verbracht hat. Um sich, wie er sagte, im Zustand der Bewusstlosigkeit an den neuen Ort zu gewöhnen, quasi in Vollnarkose.
    Avram lächelt zerstreut. Stimmt. Einmal haben sie ihn einen halben Tag gesucht, im Camp in Tassa war das, und haben schon gedacht, er sei gekidnappt worden.
    Ora erinnert sich, wie sie ihn am Kinderbettchen von Ofer, der mit geballter Faust schlief, mit dem Ellbogen angestoßen und ihm gesagt hatte, also mein Lieber, ich habe noch einen Soldaten für die Armee gemacht, und er hatte sofort, wie zu erwarten, geantwortet: Bis Ofer groß ist, wir hier Frieden sein.
    Und, denkt sie, wer hat recht gehabt?
    Sie gehen nebeneinander, jeder für sich und dennoch zusammen. Bei allem, was sie sagt, brechen in Avram innere Äderchen auf. Wo bin ich gewesen, als sie an Ofers Bett standen, was hab ich in diesem Moment getan? Manchmal, wenn er sich an ein neues Medikament gewöhnen musste, wachte er an einem unbekannten Schmerz auf, lag wach, das Gesicht schweißüberströmt, und lauschte nach innen und spürte, wie ein paar Tropfen verseuchtes Blut sich den Weg zu einem der inneren Organe bahnten, dessen Existenz er bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gespürt hatte. Jetzt ist es genauso, nur ist die Angst eine ganz andere. Verborgen und erregend. Als zeichneten die aufbrechenden Äderchen eine neue Landkarte. Und auf Oras Schultern hat der Rucksack plötzlich kaum noch Gewicht, als stütze sie jemand heimlich von hinten. Sie könnte singen, vor Freude schreien, übers Feld tanzen. Was sie ihm alles erzählt! Was sie einander erzählen!
    Ora, sagt Avram wieder, du rennst so.
    Einen Augenblick lang ist sie sich nicht sicher, ob er nur das Tempo ihrer Schritte meint.
    Sie beginnt knarzend zu lachen. Und weißt du, was Ofer immer gesagt hat, was er machen will, wenn er mal groß ist?
    Avrams Gesicht biegt sich zu einem Fragezeichen, er bekommt kaum Luft, staunt darüber, wie unvorsichtig sie in den Bereich der Zukunft vordringt.
    Eine Arbeit – sie prustet vor Lachen, kann kaum reden –, wo man, während er schläft, an ihm Versuche macht.
    Schau, jetzt hast du nochmal gelächelt, denkt sie, nimm dich in acht, Avram, dass deine Lachmuskel sich nicht daran gewöhnen. Und übrigens, ich schätze solche Offenbarungen eines Lächelns sehr. Spar nicht damit. Zu Hause seh ich so was nicht oft, bei meinen drei Schlauen.
    Denn die können andere gut zum Lachen bringen, sinnt sie nach, lachen können sie viel weniger gut, und schon gar nicht über meine Witze. Das ist wohl so ein beschissener Kompaniestolz, über meine Witze nicht zu lachen – aber wie soll man über deine Witze lachen, hatte Ilan mal gemurmelt, wenn du das ganze Lachen schon beim ersten Wort an dich reißt?
    Sie möchte ihm sagen, hör zu, Ofers Lachen ist genau wie deins, wie ein Lachender Tölpel im Rückwärtsgang, sie zögert: dein Lachen? Das von früher? Sie weiß noch nicht einmal, wie sie es beschreiben soll. Beinahe fragt sie ihn: Lachst du manchmal noch so, dass dir die Tränen kommen? Dass du auf dem Rücken liegst und mit Armen und Beinen strampelst? Lachst du überhaupt noch? Gibt es jemanden, der dich zum Lachen

Weitere Kostenlose Bücher