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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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beim Erbrechen, und sie denkt, wenn dieser Kampf nicht schnell zu Ende geht, dreht er noch durch. Sie spürt, wie das wacklige Baugerüst der Seele, das er sich mit viel Mühe gezimmert hat, wegen so einer blöden Sache beinahe zusammenbricht. In ebendiesem Moment schlägt er mit dem Stock, ganz nah bei ihrer Hüfte, ein Rachen reißt auf, noch ein pfeifender Schlag,ein ekelerregendes Geräusch, etwas zerbricht, jemand zerbricht, hinkt jaulend davon, zieht mit den Vorderläufen den hinteren Teil des Körpers nach, und wieder sieht sie Nikotin, wie er sich alt und krank in sein Körbchen schleppt, und seine Augen: ein Abgrund.
    Sie beginnt zu pfeifen.
    Nicht die Melodie eines Liedes, sondern einfach etwas Monotones, Mechanisches, das eher wie das Pfeifen eines kaputten Gerätes klingt. Die Ohren der Hunde spitzen sich zu ihr hin. Avram schaut sie misstrauisch an. Sein Bart ist zerzaust, sein Gesicht entsetzlich spitz.
    Einen Hundepfiff, analysiert sie die Situation dumpf, ich brauch einen Hundepfiff, den Pfiff für einen Hund, mit dem du abends spazieren gehst, wenn er für einen Moment hinter einem Baumstamm oder in einem fremden Hof verschwindet. Im Kreis um sich sieht sie hier und da eine braune, graue oder gelbe Pfote zögern, bevor sie sich wieder auf die Erde setzt. Sie pfeift weiter. Spitze Ohren beben, als entzifferten sie Meldungen aus einer anderen Welt. Ihre Augen rennen hin und her. Sie versucht, einen tiefen, leisen Pfiff auszustoßen, voller und reicher, soweit es ihre Lungen zulassen, aber es geht nicht, und sie hält wenigstens diesen schwachen Pfiff durch und behütet ihn wie ein urzeitliches Feuer.
    Ein abgemagerter brauner Hund bleibt stehen, setzt sich auf die Hinterbeine und kratzt sich mit dem Vorderlauf am Ohr. Mit dieser Bewegung löst er den Bann des Kreises. Die anderen Hunde fangen an, sich zu zerstreuen. Auch das goldene Weibchen tritt aus der Reihe, zögert, sie ist schwerfällig und hechelt, den Kopf etwas gesenkt. Ein großer Kanaanhund mit einer hässlichen gelben Wunde an der Hüfte humpelt ebenfalls davon, bleibt nach einer Weile mitten auf dem Feld stehen und schaut in den Himmel, als hätte er vergessen, was er eigentlich wollte. Ora meint, er gähne.
    Der Schwarze wiegt ein paarmal den Kopf, fährt sich verdrießlich mit der Zunge übers Maul. Er schaut die anderen Hunde gelangweilt an. Ora macht jetzt ihren Pfiff für Nikotin, es sind die ersten Töne von Yesterday, das ist auch ihr Pfiff mit Ilan gewesen. Der Schwarze bellt noch drei- oder viermal gen Himmel, dreht sich um und trabt davon. Andere folgen ihm. Er stellt den Schwanz auf und rennt los, und sie hinterher. Auch das goldene Weibchen schleppt sich in einigem Abstandhinter ihnen her. Ora hat den Eindruck, das Rudel wird kleiner. Sie denkt an den toten Hund irgendwo im Dornengebüsch. Sie öffnet die Hand, ihre Finger sind steif; der Stein, den sie hielt, fällt zur Erde. Sie denkt: Nicht einmal einen Stein hab ich geworfen?
    Sie schaut Avram von der Seite an. Seinen Stock – jetzt erkennt sie, es ist ein Eukalyptus- oder Kiefernzweig – schwingt er noch immer hoch über dem Kopf. Seine Brust hebt und senkt sich wie ein Blasebalg.
    Sie pfeift. Ilan pfiff immer unter der Dusche ihre Melodie, ohne es zu merken, und sie lag im Bett, legte das Buch aus der Hand und lauschte. Einmal hat er vom einen Ende des von Menschen wimmelnden Foyers im Jerusalemtheater so nach ihr gepfiffen, und sie hatte ihn am anderen Ende gehört und sich leise vor sich hin pfeifend in seiner Richtung aufgemacht und das Foyer durchquert, bis sie sich in die Arme fielen.
    Avram beobachtet sie staunend. Sie pfeift dem weglaufenden Rudel hinterher, pfeift gezielt nach dem goldenen Weibchen. Die dreht unwillig den Kopf und verlangsamt ihren Gang. Auch ein paar andere Hunde lösen sich zögernd aus dem Rudel und laufen querfeldein, in alle Richtungen. Sie schauen Ora mit einem neuen Blick an. Der ist klarer; ein Hundeblick.
    Ora beugt sich vor, die Hände auf den Knien. Die Goldene wendet sich schon mit dem halben Körper zu ihr.
    Komm, flüstert Ora ihr zu.
    Die anderen Hunde galoppieren davon, bellen vor sich hin, jagen einer dem anderen nach, kämpfen ein bisschen miteinander, schießen mit angelegten oder aufgestellten Ohren übers Feld, sammeln sich wieder zu einem Rudel. Die Goldene schaut abwechselnd zu ihnen und zu Ora. Danach, vorsichtig und mit bebenden Pfoten, geht sie auf Ora zu. Ora rührt sich nicht, pfeift kaum hörbar, weist ihr den Weg.

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