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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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sie ein paar Tage zuvor in das Loch in der Erde gesprochen hatte. Avram kommt es vor, als ob sie bete, doch nicht zu ihm, sondern zu jemandem in ihm, den sie bittet, er solle ihr endlich aufmachen und sie reinlassen, und die ganze Zeit kneten seine Hände ihren Körper, und auch sie knetet ihn, Finger umklammern die Glieder des anderen, erinnern sich ungläubig. Und für einen überraschenden Augenblick – nicht länger – Zügellosigkeit, eine heimliche, überstürzte Übertretung der Ordnung, wie wenn die Banden der Plünderer flink die Zeit zwischen dem Erdbeben und dem Eintreffen der Ordnungskräfte nutzen, und Oras Knie geben nach, sie hält sichnur noch mit letzter Kraft aufrecht, denkt, was ist das, was passiert hier, und zieht ihren Kopf von ihm weg, will ihm in die Augen schauen und fragen, was das soll, doch er zieht sie an sich, mit alt-neuer Glut, vergräbt immer wieder seine Nase in ihr, genau so war er gewesen, sie öffnet sich plötzlich, erinnert sich, wie er, wenn er in sie eingedrungen war, immer ganz von Sinnen gewesen war, abwechselnd hart und wieder schlaff wurde und sich langsam wie ein Schlafwandler auf langer Wanderschaft bewegte, Seele und Körper zerstreut, so anders als sein natürlicher Rhythmus, wenn er nicht in ihr war, anders als der Rhythmus seiner üblichen Anspannung als Jäger. Einmal hatte er gesagt, in dem Moment, wo er in sie eindringe, schließe sich in ihm eine Art innerer Kreis und er falle sofort in einen Traum. Wie ein Unterwasserlabyrinth, versuchte er es ihr zu beschreiben, als sie ihn darum bat. Nein, nein, vergiss es, das ist wie ein Traum, den kann man, wenn man aufwacht, nicht erzählen oder rekonstruieren. Das ist das Tolle, hatte er geschrien, dass ich keine Worte habe. Ich habe keine Worte!
    Und natürlich hatte sie in jenen weit zurückliegenden Jahren auch die anderen Frauen und jungen Mädchen gespürt, die er beim Liebesspiel unter dem Baldachin seiner geschlossenen Lider vorbeiziehen ließ, den rhythmischen, hurenhaften Wechsel seiner Begierden und Phantasien, während er in ihr war. Und jedes Mal, wenn die Eifersucht ihr einen Stich versetzte, hatte sie sich gesagt, man könne Avram eben nicht ohne seine Phantasien, ohne seine Parallelwelten, ohne seine tausend vorgestellten Frauen lieben. Doch im selben Moment suchte sie dann dringend seinen Mund, um ihn mit ihren Küssen zu küssen, tiefe, fordernde Küsse, oder nur mit der Zungenspitze die Spitze seiner Zunge zu berühren und ihn dorthin zurückzuholen, wo dies alles stattfand, und er begriff immer sofort, was sie tat, lächelte hinter seinen geschwollenen Embryo-Lidern und machte eine Bewegung, die sagte: Hier, ich bin ja schon wieder zurück.
    Und die ganze Zeit in diesen Jahren flüsterten seine Fußsohle und ihr Knöchel, seine Wimpern und ihr Bauchnabel, sie schmiedeten Pläne und weihten einander in ihre verborgensten Geheimnisse ein. Sie war noch so jung gewesen, hatte nicht gewusst, dass man beim Liebesspiel so lachen konnte und durfte, dass ihr Körper so leichtsinnig und sprunghaft war und genauso gern lachte wie sie. Wie kehren alldiese Bilder jetzt zu ihr zurück, wo sie sich kaum auf den Beinen halten kann. Jahre hatte sie sich nicht erlaubt, sich daran zu erinnern: Dass seine Glieder immer alle ihre Glieder berührten, wie sie ineinander verschlungen waren, denn man dürfe auch nicht eine tausendstel Berührung verschwenden, hatte er gemurmelt, keinen Finger, keinen Schenkel, kein Lid, und gewiss nicht die Wade oder ein Ohrläppchen. Ora war nicht zu erschöpfen, wenn sie mit ihm zusammen war, sie kam und lachte, lachte und kam noch einmal, in kurzen, schnellen Salven, während er sich zusammenriss, sich wie ein tibetanischer Yogi aus allen seinen Ecken zuammensammelte, wie er ihr mit einem schelmischen Lächeln erklärte: aus seinen fernsten Kolonien. Von den Zehenspitzen, den Ellbogen, den Wimpern, dem Nacken, aus der Ferne anfangen , bis sie seine Zeichen spürte und im Stillen lächelte, hier, hier, wie die Flut anrollte und wie schnell dann der Humor aus seinem Körper wich, ja, plötzlich war alles ernst und entschlossen und schicksalhaft, und seine Muskeln legten sich um sie, eine Umarmung wie ein riesiges Schloss, und dann die alles besiegelnden Stöße tief in ihr, sie erinnerte sich gut.
    Danach, sein Kopf schon schwer auf ihrer Brust, spürte sie, wie er aus den Gewässern seiner Sinne wieder auftauchte, langsam, verhalten, mit den Bewegungen eines Kindes im Mutterleib, und

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