Eine Frau flieht vor einer Nachricht
brummte: Orale, hab ich dir weh getan?
Und auch hier, auf dem offenen Feld, umarmt er sie im Stehen, gibt ihr Halt, schiebt sie dann ein bisschen von sich, schade, sie hätte gerne, wenn er nur gewollt hätte; vielleicht eine Minute rangen sie miteinander, mehr nicht, sie hatte den Ozean der Zeit bereits durchquert, und er, wo war er gewesen, was will er wirklich, was weiß sie schon, nur dass er sie festhält, sie in seinen Armen hält, vorsichtig ihr Haar streichelt und sie fragt: Hab ich dir weh getan?
Dann lässt er locker, reißt sich beinah von ihr los, als begreife er, was beinah passiert wäre, was hier aus den Tiefen emporgestiegen war, und Ora schwankt, ihr schwindelt, sie hält sich wieder an seinem Arm fest, warte, hau jetzt nicht ab, wieso haust du mir schon wieder ab, und sie schaut ihn geschwächt an, berührt einen langen blutenden Kratzer auf seiner Nase, das bedauerliche Werk ihrer Hände: Avram, sagt sie leise, erinnerst du dich noch an uns?
Ilan kam nach Hause, erzählt sie; nachdem er vor mir und Adam geflohen war und überall in der Stadt andere Häuser ausprobiert hatte, kam er zu uns zurück, ins Haus in Zur Hadassa, und er empörte sich sofort über Adam, das heißt über mich, ich hätte ihn und seine Erziehung und sein Sprechen vernachlässigt, und auch Ordnung und Disziplin. Er war noch keinen Moment zurück, da fing er schon an, Adam zu korrigieren.
Verstehst du? Fast drei Jahre haben Adam und ich mehr oder weniger wie zwei Wilde alleine im Dschungel gelebt, ohne Gesetze und Verbote, und dann landete der Missionar.
Plötzlich wurde uns klar, dass nichts bei uns in Ordnung war, es gab weder einen klaren Tagesablauf noch feste Zeiten, wir aßen, wenn wir Hunger hatten, schliefen, wenn wir müde waren, und das Haus hatte etwas von einem Misthaufen.
Warte, sie hebt den Finger, das war noch nicht alles: Adam lief nackend im Dorf herum, verdrückte Unmengen Schokolade, sah wahllos fern und kam oft erst um elf Uhr in die Kinderkrippe. Er ging noch nicht ordentlich auf den Topf, und dann nannte er mich zu allem Überfluss auch nicht Mama, sondern Ora. Waren wir hier denn in Chicago?
Und Ilan, wie er eben ist, nahm die Dinge sofort in die Hand, natürlich alles sehr nett und mit einem Lächeln – er war bei mir noch auf Bewährung, das wusste er –, aber plötzlich tauchten im Haus Uhren auf, eine in der Küche, eine kleine im Wohnzimmer, eine Mickymausuhr in Adams Zimmer. Danach begannen Aufräum-, Saubermach- und Wegwerfaktionen. Die schöne Zeit war vorbei. Diesen Schabbat sichten wir sein Spielzeug, nächsten Schabbat deinen Papierkram, und was soll diese ganze Apotheke, die aus dem Badezimmerschrank quillt?
Sie lacht freudlos.
Aber nicht dass du denkst, ich hätte nur gelitten, irgendwo mochte ich das auch. Es war ein angenehmes Gefühl, dass ein Mann im Haus war und jemand anfing, das Chaos zu beseitigen. So eine Art innere Säuberung. Die Rettungskräfte waren eingetroffen.
Vergiss nicht, ich war ja mit Ofer schwanger, ich hatte nicht viel Kraft, mich zu wehren, und Ilans ganze Begeisterung zeigte mir, dass er hier ziemlich ernsthaft sein Nest baute und diesmal vielleicht bleiben würde.
Avram läuft neben ihr, spreizt heimlich die Zehen in Ofers Schuhen. Als er sie anzog, hatte er gleich verkündet, er schwimme in ihnen und das gehe nicht. Das wird schon gehen, hatte Ora gemurmelt, den Rucksack auf seinen Schultern aufgemacht und ein paar dicke Wandersocken hervorgekramt, nimm die, und er hatte sie über seine Socken gezogen. Noch immer waren die Schuhe etwas groß, aber, um ehrlich zu sein, bequemer als seine alten, durch deren Sohlen er schon die Steine gespürt hatte.
Lass deinen Füßen einfach ein bisschen Luft, rät sie ihm, und stell dir vor, dass du gerade dieses Gefühl magst.
Er macht sich auf Ofers Absätzen breit, vergleicht die Länge ihrer Zehen. Seine Fußsohlen lernen die Fußabdrücke seines Sohnes. Winzige Vertiefungen und Erhebungen, geheime Botschaften. Eigenheiten von Ofer, die selbst Ora nicht kannte.
Vor allem, sagt Ora, hat er Adam korrigiert. Ordnung, Sauberkeit und Disziplin, das sagte ich ja schon, aber dann begann Ilan sein Alphabetisierungsprogramm.
Wie soll ich dir das erklären. Sie lacht nervös, Adam war damals ein ziemlich stiller Junge. Auch ich war in dieser Zeit nicht gerade gesprächig, hatte ja eigentlich niemanden zum Reden. Die meiste Zeit war ich mit Adam allein zu Hause, und wir führten unser kleines Leben. Es ging uns ziemlich
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