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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Avram lässt den Stock fallen. Das Weibchen durchquert das Stoppelfeld.
    Ora lässt sich langsam auf ein Knie nieder. Die Goldene bleibt sofort stehen, eine Pfote noch in der Luft, ihre schwarzen Nasenlöcher weiten sich. Ora findet eine Scheibe Brot auf der Decke, auf der sie gegessen hatten, und wirft sie in einer vorsichtigen Bewegung in ihre Richtung. Die Goldene schreckt zurück und knurrt.
    Friss ruhig, flüstert Ora, das ist gut.
    Die Hündin neigt den Kopf. Ihre Augen sind groß und entzündet. Ora redet mit ihr: Du hast mal in einem Haus gewohnt, du hast mal ein Zuhause gehabt, da haben dich Leute gepflegt und geliebt. Du hattest eine Schüssel fürs Futter und eine fürs Wasser.
    Vorsichtig und geduckt nähert sich die Hündin der Scheibe Brot. Sie knurrt, zieht die Augenbrauen hoch, lässt keinen Blick von Avram und Ora.
    Schau sie nicht an, flüstert Ora.
    Ich habe dich angeschaut, sagt er verlegen und dreht das Gesicht weg.
    Die Hündin packt das Brot und schlingt es hungrig hinunter. Ora wirft ihr auch ein Stück Käse hin. Sie schnuppert, frisst. Auch ein paar Stückchen Cabanos. Und Kekse. Komm, sagt Ora zu ihr, du bist ein liebes Tier, du bist ja ganz lieb. Die Hündin setzt sich hin und leckt sich die Schnauze. Ora gießt Wasser aus einer Wasserflasche in ein Plastikschälchen, stellt es auf die Erde, zwischen sich und die Hündin, und geht zurück an ihren Platz. Die Hündin schnuppert von weitem. Zögert hinzugehen, wird angezogen und fürchtet sich. Ein kleines Jaulen. Trink, sagt Ora, du bist durstig. Die Hündin nähert sich dem Schälchen, lässt dabei keinen Blick von Ora und Avram, ihre Beinmuskeln zittern plötzlich, als würde sie gleich zusammenbrechen. Sie trinkt in schnellen Zügen und entfernt sich. Ora nähert sich ihr, und die Hündin bleckt die Zähne, ihr Rückenfell stellt sich auf. Ora spricht mit ihr und schüttet Wasser nach. Das tut sie noch zweimal, bis die Flasche leer ist. Die Hündin sitzt neben dem Schüsselchen. Danach kauert sie da und beginnt, sich ein Knäuel von Haaren und Dornen, das sich in ihrer Pfote verhakt hat, wegzubeißen.
    Jetzt geht es schon nicht mehr anders: Sie schauen sich an.
    Ora und Avram stehen da, völlig erledigt, stinkend vor Schweiß und Angst, beschämt. Ein verlegenes Lächeln zieht über ihre Gesichter. Anscheinend haben sie es noch nicht geschafft, sich ihre alte Haut wieder überzustreifen. Avram starrt Ora an und wiegt langsam den Kopf, staunend, voller Anerkennung, in seinen blauen Augen spiegelt sich die Freude vergangener Zärtlichkeiten. Plötzlich erinnert sich ihr Leib mit brennender Schärfe an ihn, an die Kraft seiner Umarmungen, undfür einen Moment fragt sie sich, ob sie ihm wohl auch pfeifen müsse, damit er zu ihr kommt. Doch er kommt von sich aus, es waren nicht mehr als drei Schritte, umarmt sie, umhüllt sie wie einst, flüstert ihr zu, Ora, Orale. Die Hündin hebt den Kopf und schaut sie an.
    Einen Moment später weicht Ora vor ihm zurück und starrt ihn an, als habe sie ihn Jahre nicht gesehen, stürzt sich dann wieder auf ihn und beginnt, ihn mit beiden Händen zu schlagen, ins Gesicht zu schlagen und zu kratzen, wortlos, mit röchelndem Atem, und er ist schockiert, schützt sein Gesicht, versucht sie festzuhalten, sie zu umarmen, damit sie ihn nicht verletzt und sich selbst nichts antut, denn sie beginnt, sich selbst zu kratzen und ins Gesicht zu schlagen. Ora, hör auf damit, ruft er, fleht sie an, bis es ihm gelingt, sie fest in die Arme zu schließen und an sich zu drücken, damit sie aufhört zu toben, doch sie kämpft und schnaubt und tritt um sich, und jedes Mal, wenn sie einen kleinen Zwischenraum zwischen sich und ihm spürt, versucht sie, den mit einem Schlag oder Tritt oder mit wütendem Schnauben auszufüllen, und je mehr sie tobt, umso mehr muss er sie an sich ziehen, bis sie ganz aneinander kleben, wie ein Leib umschlungen dastehen, und sie schreit ihm mit knirschenden Zähnen du Scheißkerl entgegen, uns die ganzen Jahre … zu bestrafen … Wer schuldet hier überhaupt jemandem was … Ihre Stimme wird schwächer, bis sie an seiner Brust aufgibt und den Kopf in die Kuhle seiner Achseln legt, fassungslos, was ihr da rausgerutscht ist. Was war das plötzlich, woher kam das auf einmal, sie hat ihm doch etwas ganz anderes sagen wollen. Und er rührt sich nicht, drückt sie an sich und streichelt immer wieder ihren Rücken unter der schweißnassen Bluse, und sie atmet heftig und flüstert in seinen Leib, so wie

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