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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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es: Ich versteh gar nichts mehr, gar nichts versteh ich.
    Betrübt und plötzlich sehr krank saßen sie da. Von Minute zu Minute schwoll in ihm das bedrückende Gefühl der schlechten Nachricht: Was hat er falsch gemacht. Was für eine Komplikation, was für ein Verderben hat er verursacht, als er sie vorher mit Ilan allein gelassen hat.
    Es gibt da noch was, was ich dir erzählen wollte, sagte er ohne Hoffnung, aber du magst bestimmt schon nicht mehr, oder? Sie fragte vorsichtig nach, wie was zum Beispiel? Doch noch bevor er antwortete, wusste sie, was er sagen würde und mit genau welchen Worten und in welcher Melodie, und ihr Körper zuckte zusammen, und sie verschloss sich ihm gegenüber. Das ist ein Geheimnis. Keiner weiß davon, aber, um die Wahrheit zu sagen, ich schreibe.
    Sie schluckte und fragte, was heißt das? Und er, ich schreibe eben so Sachen, für mich, ich schreib die ganze Zeit, jeden Moment, den ich für mich hab, schreibe ich. Dabei wusste sie doch schon, dass er schrieb, er hatte vorher selbst gesagt, er werde etwas für Stimmen schreiben, doch da hatte sie noch gedacht und gehofft, es sei nur Musik, aber jetzt legte es sich eng um ihren Hals, er schrieb die ganze Zeit, diese Worte stürzten sich auf sie, wie sich ein Adler auf seine Beute stürzt, und auch dieser Ton, in dem er das sagte: Ich schreib die ganze Zeit, jeden Moment, den ich für mich hab, schreibe ich.
    Aber was, was schreibst du? Sie empfand ihre eigene Stimme als merkwürdig kreischend und grob. Aufsätze? Limericks? Schwänke aus deinem Leben?
    Er hörte für einen Moment auf, sich zu kratzen, und starrte sie an. Das, was in den letzten Nächten zwischen ihnen entstanden war, dieses Wunderbare, ihr Geheimnis, erkaltete und löste sich mit einem Mal auf, und vielleicht war es auch gar nichts gewesen, wie immer. Avram, der Phantast, liebeskrank, geil, scharf auf jedes Mädchen, das er sieht, egal wer, Hauptsache Mädchen, er wird sie in seiner Phantasie schonaufblasen, bis sie mindestens Brigitte Bardot ist. Ora spürte sofort: Sein Feuer war aus. Die Seite ihres Körpers, die zu ihm wies, kühlte ab, wurde gefühllos, und sofort rückte sie von ihm weg ans Ende des Bettes, und als sie wegrückte, wollte sie, dass er sie fest an sich drückte, dass er ihre tote Haut wärmte. Es drängte sie, ihm eine zu scheuern, ihn zu schütteln, bis all diese Verschrobenheit und diese Schwere von ihm abfiel, vor allem aber seine Angeberei. Wenn sie wenigstens ein bisschen Kraft hätte. Ein Tritt von ihr, wenn sie ausschlägt, das ist kein sonderliches Vergnügen, da kann er ihre Kumpel fragen, die schon mal was von ihr abgekriegt haben.
    Alle möglichen Sachen schreib ich, ließ Avram mit leichtem Hochmut hören. Als ich klein war, hab ich die ganze Zeit Geschichten erfunden, aber jetzt schreib ich andere Sachen. Versteh ich nicht, sagte sie mit zusammengepressten Zähnen, du sitzt einfach so rum und schreibst für dich selbst Sachen auf? Ja, so ungefähr, aber vergiss es. Er wollte, dass sie geht. Dass sie zurückkommt. Dass sie wieder ist wie vorher. Wie stumpfsinnig sie das gesagt hat. »Sitzt einfach so rum und schreibst für dich selbst.« Nein, wirklich, wie konnte sie so stur sein?
    Erklär mir nur, drängte sie plötzlich kampflustig, was heißt das, »ich schreibe ganz andere Sachen«? Erklär es mir, damit ich es verstehe. Sie schoss ihre Worte auf einem Strahl der Verachtung, sie machte ihn klein, stauchte ihn zusammen, umzingelte ihn erfolgreich, wie man einen Brand eindämmt.
    Aber wieso ausgerechnet Limericks? Avram schüttelte sich angewidert, wie kommst du denn da drauf? Sie sagte: Was hast du gegen Limericks? Limericks, dass du’s nur weißt, sind das Lustigste, was es gibt! Ein spitzer Schmerz durchzuckte sie, sie spürte genau, was sie hier jeden Moment mit ihrem Gerede kaputtmachte. Was war mit ihr los, warum nervte er sie plötzlich so wahnsinnig, jedes Wort von ihm regte sie auf wie quietschende Kreide auf der Tafel; sie hatte das Gefühl, als stellte er ihr das Wasser in der Dusche von heiß auf kalt und wieder zurück. Ihr wurde schwindlig: Wie hatte Adas Gesicht geglänzt, wie hatte es geleuchtet, wenn sie ihr von den Gestalten erzählte, die sie erfunden hatte, von neuen Verwicklungen in der Handlung, von denen sie nachts geträumt hatte. Wie schön war sie gewesen, wenn sie sich so begeisterte, und dieser Glanz auf ihrer Stirn erleuchtete dannauch Ora, und die sonnte sich genüsslich in ihm, ohne einen Anflug von

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