Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
Vom Netzwerk:
Neid hatte sie ihr zugehört, was hätte sie ihr auch zu neiden gehabt, Ada war doch Ada, und sie war sie, und sie war einfach glücklich, in diesen Augenblicken mit ihr zusammen zu sein und zu sehen, wie dieses Wunder jedes Mal neu geschah, dass ein Funke von Wort zu Wort sprang, von einem Gedanken zur nächsten Erfindung, und sich wie ein flinker Drachen in waghalsigen Sprüngen immer höher aus Adas kleinem, fieberndem Kopf aufschwang.
    Sie murmelte noch einmal eigensinnig und mit traurigem Gesicht, Limericks sind ein Heidenspaß, du hast echt keine Ahnung, Limericks, das ist superaffengeil . Und Avram tat, als bekäme er keine Luft mehr: superaffengeil ? Sagt man das bei euch in Haifa? Superaffengeil ? Diese wirklich dümmliche Wortverbindung – sie hatte noch nie bemerkt, wie albern sie war – flatterte wie eine beschämende Kreatur zwischen ihnen, Ora dachte aus irgendeinem Grund an den Schwanz einer Eidechse, den sie abstieß, um ein Raubtier von sich abzulenken; er soll sie schon in Ruhe lassen, dieser Anti, dieser Feinschmecker, der alles hasst, was normale Menschen mögen.
    Avram sank immer mehr in sich zusammen, fassungslos über den beißenden Schmerz des Vertrauensbruchs, als wäre das große und einmalige Versprechen gebrochen worden, das er in diesen wunderbaren Nächten bekommen hatte. Ihnen beiden war es gegeben worden. Jetzt sag schon, was du schreibst! Damit wir deine Meisterwerke kennenlernen! kamen die Worte fast jaulend aus ihrem Mund. Jetzt schreib ich nur noch für Stimmen, sagte Avram leise in seine Handflächen hinein, hab ich dir doch erzählt, so ganz kurze Hörspiele. Was heißt das, fragte sie verkrampft. Hörspiele, so wie im Radio, sagte er und bemühte sich, dass sie das Genervtsein in seiner Stimme hörte. Wie in Vorhang auf , falls du von der Sendung schon mal gehört hast. Ora schwieg. Seit zwei Jahren hatte sie das Radio montagabends um neun nicht mehr angeschaltet. Davor hatte sie mit Ada regelmäßig das Montagshörspiel gehört, und am nächsten Tag hatten sie darüber gesprochen, besondere Stellen daraus zitiert, es ausgiebigst durchgekaut und überlegt, welcher Mitschüler welcher der Figuren am ähnlichsten war. Doch jetzt zuckte sie bloß mit den Schultern und fragte noch einmal, was heißt das.
    Das macht sie bestimmt mit Absicht, ging es ihm durch den Kopf, sie macht mit Absicht diese Stimme, sie fragt mit Absicht wie ein Kratzer auf der Schallplatte, was heißt das, was heißt das. Und er stieß hervor: Radiotheater will ich machen, das interessiert mich am meisten, nur menschliche Stimmen, ein bisschen Musik im Hintergrund, aber die Hauptsache sind die Stimmen, ohne dass man irgendetwas sieht. Alles passiert in der eigenen Vorstellung. Sie zog mit Verachtung die Nase hoch, doch selbst in der Eiszeit, die sich zwischen ihnen ausbreitete, geriet Avram noch ins Schwärmen, wenn er von seiner großen Liebe erzählte: Ich mach nicht so normale Hörspiele wie im Radio. Die machen sich die Sache leicht, nein, bei mir gehen Vorstellung und Realität durcheinander, manchmal nehm ich sogar echte Menschen auf, alle möglichen Leute, draußen auf der Straße, im Laden, was sie mir so erzählen, und verbinde das mit erfundenen Teilen. Doch Ora weigerte sich zuzuhören. Sie stemmte gleichsam die Fersen fest in den steilen Abhang und wiederholte in seinen Atempausen zwanghaft, ich versteh das nicht, erklär mir das, und er verzweifelte immer mehr, verschloss sich immer mehr vor ihr, so wie sie sich vor ihm, und konnte trotzdem nicht aufhören, wo doch das Teuerste, was er besaß, zwischen ihnen flatterte. Was gibt’s da zu verstehen, schrie er, ich glaub, es gibt nichts Aufregenderes als die menschliche Stimme, und ich glaub, die Radiokunst ist das Stärkste, was es in der Kunst überhaupt geben kann, und du wirst sehn, die Zukunft gehört dem Radio, nicht dem Kino, und ganz bestimmt nicht diesem Fernsehen der Amerikaner, davon wird in zehn, zwanzig Jahren keiner mehr reden, Ora erinnerte sich, er hatte ihr schon vorher davon erzählt, dass ihn in diesen Jahren vor allem Stimmen interessierten. »In diesen Jahren.« – Daraus sollte sie bestimmt entnehmen, dass er sich in den Jahren davor für andere Dinge interessiert hatte, dieser Snob, als ob er schon jetzt wüsste, dass ihn »in den kommenden Jahren« – hahaha – andere Dinge interessieren würden, dieser Schwanz-Josef. Und sie, wo war sie »in diesen Jahren« gewesen? Worauf hatte sie ihr Leben verschwendet? Sie hatte

Weitere Kostenlose Bücher