Eine Frau flieht vor einer Nachricht
versucht, zu schweigen. Keinen Druck auszuüben, es einfach zu übergehen.
Erinnerst du dich an diesen Film, den wir mal zu dritt in Jerusalem im Kino gesehen haben, fragt Avram.
David und Lisa , ja, und sie zitiert: »David, David, look at me, look at me, what do you see?«
Und Avram antwortet sofort: »I see a girl, who looks like a pearl.«
Drei Monate, sie kann es selbst kaum glauben, bekam jedes Geräusch im Haus einen Reim.
Den traurigen Seufzer über das, was jetzt in ihr erwacht, unterdrückt sie mühsam: der Wunsch, dieses Verlangen, sofort mit Ilan darüberzu reden, zu verstehen, was Adam damals durchgemacht hat, es immer wieder mit ihm bei ihren Küchengesprächen oder bei ihren Abendspaziergängen durchzukauen.
Ilan gibt es nicht mehr, ermahnt sie sich.
Doch für einen Moment, wie jeden Morgen, wenn sie die Augen aufmachte und die Hand tastend zur Seite ausstreckte, trifft sie auch hier dieser Schlag, als wäre es das erste Mal: Sie hat keinen Partner. Sie hat keinen Reim.
Von morgens bis abends war es so, jeden Tag, und nachts auch, sagt sie, und dann ist es irgendwie weggegangen, wir haben es kaum gemerkt. Wie auch die anderen Ticks, die er und Ofer hatten. So ist das eben, sagt sie, verzieht ihren Mund zu einem angestrengten Lächeln, du denkst schon, das war’s, diesen Tick werden sie nie mehr los. Adam wird für immer in Reimen reden, Ofer wird sein Leben lang mit einem Schraubenschlüssel unterm Kopfkissen schlafen, um die Araber zu verhauen, wenn sie kommen, oder er wird sein Cowboykostüm tragen, bis er siebzig ist, und eines Tages merkst du, dass dieser Tick, mit dem er die ganze Familie verrückt gemacht hat, sich einfach in Luft aufgelöst hat.
Um die Araber zu verhauen?
Ach, das ist auch eine ganze Geschichte, sie lacht kurz auf, dein Sohn hatte eine blühende Phantasie.
Ofer?
Ja.
Aber warum … warum die Araber? Hatte er mal was mit …
Nein, nein, mit einer Handbewegung will sie seinen Verdacht zerstreuen, das war alles bloß in seinem Kopf.
Sie kommen am Naturfreundehaus vorbei, Avram rennt zu einem Trinkwasserhahn und füllt die Wasserflaschen. Ora sieht das Wasser über den Rand der Flasche fließen, sein Blick wandert zu dem Wäldchen, durch das sie gerade heraufgestiegen sind, er lächelt leicht, und sie folgt seinem Lächeln, es führt sie zu der goldenen Hündin. Erschöpft hechelnd steht sie zwischen den Bäumen. Ora gießt Wasser in ein Schälchen und stellt es nicht weit von sich hin. Das ist dein Schüsselchen, sagt sie und gießt immer wieder nach, bis die Hündin keinen Durst mehr hat. An einem Kiosk auf Rädern kaufen sie, nachdem derBesitzer endlich bereit ist, sein Radio abzustellen, drei Portionen Hot Dog für die Hündin, Borekkas und Süßigkeiten für sich. Sie setzen ihren Aufstieg fort. Der Lautsprecher aus dem nahegelegenen Militärcamp alarmiert die ganze Zeit Techniker, Fahrer oder Antennenspezialisten. Die menschliche Präsenz wird zu dicht und macht sie nervös. Sie meiden Begegnungen und Gespräche mit anderen Paaren, die ihren Weg kreuzen. Die sehen uns recht ähnlich, denkt Ora und spürt einen Stich Neid, ungefähr unser Alter, kleinbürgerlich, nett, gönnen sich einen Tag Urlaub in der Natur, um ein bisschen vor der Arbeit und den Kindern zu fliehen, und bestimmt denken sie dasselbe über Avram und mich. Wie er gleich aufgesprungen ist, als ich von Ofers Angst vor den Arabern erzählt habe. Woran hab ich da nur gerührt?
Auf der Spitze des Berges Meron stehen sie an einem Aussichtspunkt, »instand gesetzt von Angehörigen und Freunden von Oberleutnant Uriel Perez seligen Angedenkens, geboren am 17. November 1977 in Ofira, gefallen im Libanonkrieg am 26. November 1998. Er wanderte, kämpfte, studierte die Tora und liebte sein Land«, liest Avram dort, und sie schauen nach Norden zum Hermon, in violetten Nebeln, aufs Hulatal und den grünen Abhang des Keren Naftali. Sie versuchen, stolz und doch bescheiden, die Kilometer zu schätzen, die sie zurückgelegt haben. Eine neue, unbekannte Kraft pulsiert in ihren Kniekehlen, und als sie für einen Moment die Rucksäcke absetzen, haben sie das Gefühl, ein bisschen zu schweben.
Was meinst du, Ora, sollen wir hier oben übernachten?
Hier wird es bestimmt kalt; lass uns lieber ein bisschen weiter runter gehen. Sollen wir den markierten Weg nach unten nehmen?
Ich möcht erstmal um den Gipfel herumgehen – er streckt sich und lockert die Arme –, auch wenn das nicht auf der Route liegt.
Na dann
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