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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Lust hätte?
    Wozu denn? Zerstreut grinst er aus seinen schwarzen Gedanken hervor, wünsch es dir, denkt er, er würde alles für sie tun.
    Morgen oder übermorgen, sagt sie, möcht ich dir ein bisschen die Haare schneiden.
    Er fragt verblüfft: Geht das so nicht mehr?
    Geht schon, aber da ist so ein Drang, der mich auf hohen Bergen überkommt. Einmal ratzekahl.
    Ich weiß nicht. Mal sehn. Lass mich überlegen.
    Die Luft ist klar und würzig. Ausladende Büsche von Zistrosen auf beiden Seiten des Weges blühen in Weiß und Rosa. Er denkt sich, wie sie von einem zum anderen springt, wie sie gleichzeitig überall mit dabei ist.
    Und wer schneidet dir sonst die Haare, normalerweise? fragt sie mit wohlabgewogener Unbeschwertheit.
    Ab und zu hat mir ein Freund, der Friseur ist, in der Ben-Jehuda- Straße, den Gefallen getan.
    Ah.
    Aber in letzter Zeit meistens Neta, etwa jedes halbe Jahr.
    Er befühlt sein langes, schütteres Haar, das im Wind flattert: Vielleicht solltest du es wirklich ein bisschen in Form bringen.
    Du wirst nichts merken, sagt sie, es tut auch nicht weh.
    Sie gehen. Die leeren Fruchtbecher der Eicheln knacken unter ihren Füßen. Ein kühler Wind weht. In dem Wäldchen hier wachsen rote, blaue und violette Anemonen.
    Zwischen ihnen vibriert eine neue Nähe.
    Weißt du, sagt Ora, seit gestern versuche ich etwas, seit wir beideein bisschen aus dem Schockzustand raus sind und ich gespürt habe, dass auch du jetzt besser drauf bist, das war doch etwa seit vorgestern, oder?
    Ja.
    Genau, nachdem ich nachts in mein Notizbuch geschrieben habe … Seitdem versuche ich, alles, was ich sehe, die Landschaft, die Blumen, die Felsen, die Farbe der Erde, das Licht zu jeder Tageszeit – sie macht eine weit ausholende Bewegung mit der Hand –, alles eben, auch dich, auch die Geschichten, die ich dir erzähle, und uns beide, und auch diese Hyazinthe hier – Schalom, mein Freund, grüßt sie sie mit einem Kopfnicken –, das alles versuche ich mir jetzt einzuprägen, damit ich mich später wirklich daran erinnern kann. Man weiß ja nie, sagt sie und macht vor Avram ein Clownsgesicht, das nicht gerade zum Lachen reizt, vielleicht ist es ja mein letztes Mal.
    Ofer wird nichts passieren, Ora, schau, er wird ganz okay zurückkommen.
    Versprichst du mir das?
    Er zieht die Augenbrauen hoch.
    Versprich es mir, sagt sie, rempelt ihn mit der Schulter an, was stört’s dich, einer alten Frau eine kleine Freude zu machen.
    Sie kommen an einem weiteren Aussichtspunkt vorbei, zur Erinnerung an Josef Bukisch, seligen Angedenkens, gefallen am 25.7.1997 während seines Wehrdienstes. »So viele schöne Dinge gibt’s auf dieser Welt/ Landschaften, Blumen, Menschen, Tiere./ Machst du die Augen auf, so siehst du jeden Tag/ einhundert schöne Dinge. Wenn nicht mehr« (Lea Goldberg). Erinnere dich, rast es in Avrams Kopf, hämmert gegen seine Schädeldecke, dieses Gedächtnis, das du geleert hast, das du ausgelöscht hast, das du mit lauter Mist angefüllt hast, mit lauter Scheiße, in dem wirst du jetzt jedes Wort von ihr aufbewahren, alles, was sie dir über Ofer erzählt. Wenigstens das kannst du für sie tun, was kannst du ihr sonst noch geben? Dein verfluchtes krankhaftes Gedächtnis wirst du ihr geben.
    Was er dir da gesagt hat, versucht Avram etwas später vorsichtig, war das vielleicht ein bisschen unter dem Einfluss von Adams Oper?
    Übers Exil? Dass wir alle in einem langen Zug hier wegmüssen?
    Vielleicht.
    Röte steigt in ihr auf, von der Brust bis zum Hals. War doch auch ihr dieser Gedanke schon gekommen. Und jetzt ihm. Wie er es lernt, seine Fäden mit ihren zu verweben! Sie stehen schweigend da, wanken ein bisschen. Zu ihren Füßen das Naturschutzgebiet Meron, grüne Weite, Wälder, felsige Berge. Avram denkt wieder an die Frau, die hinter sich den roten Faden abrollt. Vielleicht eine Nabelschnur, die bei ihr anfängt und dann endlos weitergeht? Er stellt sich vor, wie aus allen Städten, Dörfern, Kibbuzim und Moschawim immer mehr Männer, Frauen und Kinder kommen und ihre roten Fäden an ihren Faden anknoten. Für einen Moment sieht er ein rotes Netz über die ganze Landschaft ausgebreitet, sie packt es wie ein Fischernetz. Ein feines Netz, blutend, es glitzert in der Sonne.

    Dieses Laufen hat schon etwas Besonderes, nicht wahr? sagt er später, und Ora lacht gedankenversunken auf, ja, sehr, das kann man wohl sagen; und er, nein, ich meine einfach diese Bewegung des Laufens, dass man von einem Punkt zum nächsten gehen

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