Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Ameisenstadt und hielten sie instand, bauten aus Lego vielteilige Schlösser, formten stundenlang aus Knete Figuren, spielten mit Teig und mit Ofers Radiergummisammlung, backten einen Kuchen. Ilan, stell dir vor!, lacht sie. Und Ofer hatte wirklich so eine Manie, alles zu zerlegen, schon als ganz kleines Kerlchen hat er alles auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, immer wieder, tausendmal. Die automatische Bewässerungsanlage im Garten, ein altes Tonband, ein Transistorradio, den Ventilator und natürlich Uhren; ihm ist es zu verdanken,dass Ilan ein bisschen was von Mechanik, Zimmerei und Elektrotechnik gelernt hat, und all das passierte fast ganz ohne Worte, du hättest die beiden gurren und pfeifen hören müssen, du hättest Ilan sehen müssen, als habe er Urlaub von sich selbst.
Avram lächelt. Ein Beinahe-Glück verzerrt für einen Augenblick sein noch ungeübtes Gesicht. Er will es wirklich wissen, stellt sie verblüfft fest, und ihr Herz bestätigt ihr, was sie schon immer über Avram wusste: Er könnte sich vielleicht nie an Ofer binden, das würde er nicht wagen, aber er könnte und würde es wagen, sich an die Geschichten über Ofer zu binden.
Damals, bei Ofer, hatte sich ein lachender, leichtsinniger Ilan gezeigt, ein heller und seltener Ilan, den sie sehr liebte. Er kugelte sich mit ihm auf dem Boden, machte mit ihm Ringkämpfe, spielte im Wohnzimmer und im Hof Fußball und Verstecken, hob ihn sich auf die Schultern und rannte wild schreiend um das ganze Haus, er sang und johlte mit ihm Nonsense-Lieder.
Und wie die beiden in der Badewanne getobt haben, richtige Wasser- und Entenkämpfe, du hättest das Badezimmer sehn müssen, wenn sie fertiggeplanscht hatten.
Und Adam?
Ja, Adam, sagt sie – merkt wieder, wie er immer gleich zu Adam zurückkehrt, natürlich hätte auch Adam mitspielen können, es ist nicht so, dass er ausgeschlossen war, verdammt, ist das kompliziert …
Wenn Adam mit dabei war, hatte sie immer den Eindruck, dass Ofer und Ilan sich bremsten, weniger wild und ausgelassen waren und gleichsam geduldig Adams ununterbrochenes Gerede ertrugen. Wenn er sie damit überschwemmte, kippte es nicht selten in einen erschreckenden Sturm physischer Wildheit um, dann schlug und trat Adam sie beide wegen eines kleinen, dummen Vorwands oder einer eingebildeten Beleidigung. Manchmal warf er sich bei einem Wutanfall auf die Erde, schlug mit Händen und Füßen und auch mit dem Kopf – bei der Erinnerung an diese dumpfen Schläge zuckt Ora zusammen –, dann versuchten Ilan und Ofer mit allen Mitteln, ihn zu beruhigen und zu versöhnen. Es war rührend, wie Ofer seinen großen Bruder streichelte, sich neben ihn setzte, sich an ihn schmiegte und ohne Worte tröstend auf ihn einredete.
Das war keine leichte Zeit, sagt sie, denn Adam verstand ja nicht, was da passierte; und je mehr er versuchte, sich den beiden zu nähern, desto eindeutiger wichen sie zurück, und er kam noch mehr unter Druck und drehte noch mehr auf. Was hätte er auch tun sollen, sag mir, er hatte doch nur ein Mittel, um zu zeigen und auszudrücken, was er wollte, nur das, was Ilan ihm beigebracht hatte, aber warum – sie macht eine verärgerte Kopfbewegung –, warum hatte sie nicht häufiger eingegriffen? Sie war so geschwächt gewesen und noch so unreif. Eigentlich, denke ich jetzt, hat er Ilan angebettelt, zu ihm zurückzukehren und ihren gemeinsamen Bund zu bekräftigen.
Und dann denke ich an Ilan, wie er Ofer einfach erlaubt hat, er selbst zu sein, wie er alles an ihm liebte, sogar auf seine ewige Kritik verzichtete, um ganz und gar und ohne Vorbehalte alles, was Ofer war, lieben zu können. Und indem er das tat – sie weiß, das kann sie nicht laut sagen –, hat er sich von Adam abgewandt. Anders kann man es nicht nennen. Sie weiß, auch Avram versteht genau, was da passiert ist. Er hört schon die Zwischentöne und das Schweigen.
Ilan hat das nicht mit Absicht gemacht. Das weiß sie. Er hat das bestimmt nicht gewollt. Er hat Adam geliebt. Aber so ist es gekommen. Ora merkte es, Adam merkte es, vielleicht hat sogar Ofer als Krabbelkind schon etwas davon gespürt. Dieses Verhalten von Ilan, diese entsetzliche, verborgene, feine Bewegung hatte keinen Namen, aber damals war das ganze Haus voll von diesem tiefen und schwer zu fassenden Vertrauensbruch, den sie auch jetzt, zwanzig Jahre später, als sie Avram davon erzählt, nicht in Worte fassen kann.
Und eines Morgens, da war Adam etwa fünf, fütterte Ilan ihn mit
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