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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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einem weichgekochten Ei, und Adam leckte sich die Lippen und sagte, Ei, Ei, Ei – das Küken ist frei. Das war ein Spiel, das sie vor Ofers Geburt sehr gemocht hatten, und Ilan antwortete ihm gleich, es fiel in den Brei, und Adam lachte glücklich, dachte einen Moment nach und sagte, mit großem Geschrei. Und beide lachten, und Ilan sagte, du bist großartig, aber komm jetzt anziehn, sonst sind wir zu spät im Kindergarten, und Adam sagte, weil die andern sonst warten.
    Als Ilan ihm sein Hemd anzog, sagte Adam, Arm im Hemd fühlt sich fremd, und Ilan lächelte, das kann keiner so wie du, mein Junge.Und als er ihm die Schuhe zuband, sagte Adam, in den Schuhen kann ich ruhen, und Ilan sagte, ich seh, du bist so richtig in Reimelaune, und Adam sagte, gib mir deine Posaune.
    Sie gingen zusammen in den Kindergarten und kamen am Spielplatz von Zur Hadassa vorbei, und Adam sagte, auf der Rutsche fährt eine Kutsche, und die Wippe steht auf der Kippe. Ilan war mit den Gedanken woanders und sagte wohl, Adam sei heute aber wirklich ein Dichter, und er sagte, wo ist der Trichter.
    Als Ora mittags in den Kindergarten kam, erzählte ihr die Kindergärtnerin begeistert, Adam habe einen ganz besonderen Tag gehabt: Er habe mit den Kindern und der Kindergärtnerin nur in Reimen gesprochen und sogar andere Kinder damit angesteckt, natürlich nicht alle, denn nicht alle könnten so schön reimen wie er, aber man könne schon sagen, wir hatten hier einen Garten mit kleinen Dichtern, nicht wahr, Kinder? Und Adam legte seine glatte Stirn in Falten und sagte, als wäre er zornig: Kinder, Kinder, alles Erfinder, aus dem Zylinder.
    Auch auf dem Heimweg, auf dem Fahrrad, dicht an ihrem Rücken, die dünnen Ärmchen mit unbekannter Kraft um ihre Hüften geschlungen, antwortete er auf alle ihre Fragen mit Reimen, und sie, die von Anfang an nicht viel Geduld für Ilans Spielchen mit ihm hatte, bat ihn, damit aufzuhören, und prompt antwortete er, sie solle ihn nicht stören, und Ora dachte, das sei wohl das Trotzalter, und schwieg.
    Zu Hause machte er gerade so weiter. Ora drohte ihm, nicht mit ihm zu sprechen, bis er wieder normal rede, und er antwortete normal, Kanal. Später saß er vor dem Fernseher und sah Kinderstunde, und als sie ins Wohnzimmer schaute, hockte er vorgebeugt, die geballten Fäuste auf den Knien, und seine Lippen bewegten sich nach jedem Satz, den die Figuren sagten, und sie begriff, dass er ihnen in Reimen antwortete.
    Sie nahm ihn auf eine Autofahrt mit, hoffte, das Fahren würde ihn ablenken und ihn diesen sonderbaren Reimzwang vergessen lassen. Sie fuhr mit ihm ins benachbarte Mevo-Bejtar und zeigte ihm Arbeiter auf einem Dach, und er sagte Reiter, Leiter, weiter, flach, schwach, und als sie am Coop vorbeikamen, schrie er nach einigen Sekunden größter Seelennot: Stopp, Galopp. Sie bremste, um einen alten Hund über die Straße laufen zu lassen, und hörte nur tiefes Schweigen vom Rücksitzund sah dann im Spiegel, wie seine Lippen zitterten und ihm Tränen in die Augen schossen, weil er keinen Reim auf Hund fand.
    Rund, sagte sie zärtlich, und er atmete erleichtert auf, auch Mund und bunt.
    Komm, erzähl mir jetzt, wie war es denn im Kindergarten? fragte sie, als sie in dem Versteck auf dem Weg zum Nachal HaMaajanot saßen, das sie beide so mochten, und er sagte sofort starten, abwarten. Sie legte ihm den Finger auf die Lippen und sagte, jetzt sag mal nichts und hör nur zu, und er schaute sie verängstigt an und murmelte Schuh, Kuh, und Ora verkrampfte sich beim Anblick des Kummers und der Verzweiflung in seinem Gesicht. Sie hatte den Eindruck, als flehe er sie an, sie möge doch schweigen, die ganze Welt möge schweigen, damit es keine weiteren Geräusche mehr gebe. Sie zog ihn an sich, und er vergrub seinen Kopf an ihrem Hals, sein Körper war wie zusammengeballt. Sie wollte ihn beruhigen, doch jedes Mal, wenn sie sich vergaß und auch nur ein Wort fallen ließ, musste er ihr mit einem Reim antworten. Sie fuhr mit ihm nach Hause, gab ihm sein Abendessen, badete ihn in der Wanne und bemerkte, dass er, auch wenn sie gar nichts sagte, Reime auf die Geräusche des Wassers machte, auf das Zuschlagen einer fernen Tür, auf den Pfeifton zu Beginn der Nachrichten im Radio der Nachbarn.
    Das ging etwa drei Monate, erzählt Ora, jeder Satz, jedes Wort, alles, worüber wir sprachen oder was er um sich herum hörte, wurde gereimt. Adam, ein Reimroboter.
    Und was habt ihr gemacht?
    Was hätten wir machen können? Wir haben

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