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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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sich so bei dir? Wie überstehst du die heißen Tage? Wir sind bei Feldübungen im Negev, rennen rum, schwitzen zehn Stunden am Tag und müssen danach noch die Waffen putzen. Meine Schrift ist ein bisschen krakelig. Ich bin müde, und das Hirn ist blöde nach so einem Tag, es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren, deshalb mach ich es heute kurz. Ich warte wirklich auf einen langen Brief von dir, mindestens drei Seiten!!! P.S.Würdest du mir vielleicht ein Foto von dir schicken, damit ich nicht vergesse, wie du aussiehst?
    Irgendwann wurde ihr klar, dass er eine Freundin hatte, in Aschkelon. Schon sieben Monate, er wunderte sich, dass Ora bis jetzt noch nicht von ihr gehört hatte, er meinte, er redete die ganze Zeit nur von ihr. Warte, was hast du gemacht, während ich erzählt habe? Hast du geschlafen? Macht nichts, und was ich dir noch sagen wollte …
    Ora fragte sich, ob sie jetzt beleidigt sein und ihm eine Szene machen sollte. Aus irgendeinem Grund war sie erleichtert. Sie nahm ihren Mut zusammen und fragte, ob er also im Grunde zwei Freundinnen habe. Sie und diese andere? Er lächelte verlegen und sagte, nein, die aus Aschkelon, die sei seine richtige Freundin. Ora sei eine gute Freundin, eine Seelenfreundin, und seine Nasenspitze lief rot an, als er das sagte. Ora nickte und lief weiter neben ihm her.
    Sie traf sich weiter mit ihm und schrieb ihm, bis man sie ins Krankenhaus in Jerusalem brachte, und sie grübelte weiter darüber nach, ob das, was sie für ihn empfand, wohl die große Liebe war, von der alle sprachen, und warum sie bei ihr so matt und lau war und warum er sie noch nicht einmal zufällig berührte, weder auf der Straße noch im Kino, und warum ihr das eigentlich egal war.
    Wie war das möglich? fragte sich Ora schockiert, als sie Avram am anderen Ende des Bettes eingerollt tief schlafen sah, wie war es möglich, dass ihr das nichts ausgemacht hat? Wie hatte sie es zugelassen, dass ihr so etwas überhaupt passierte, so ein Avner mit seinen Briefen, und dieser dämliche Schlüsselanhänger, auf den sie Wochen verschwendet hatte. Warum hat sie das mitgemacht? Und auch noch so lange, Gott im Himmel, warum hat sie sich so treten lassen?
    Kurz davor, in Tränen auszubrechen, schleuderte sie Avram einen letzten Stuss entgegen, einen letzten bitteren Spritzer eigener Armseligkeit: Was laberst du mich voll mit deinen Plänen und »Stimmen« und diesem ganzen philosophischen Quatsch? Du bist grad mal sechzehn, kapierst du das? Du bist doch eigentlich noch ein Kind! Ein Kind! Und er wachte auf, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und sagte mit einem Trübsinn, der ihr fast das Herz brach, denn sie verstand, er hatte sie schon völlig aufgegeben (und zu Recht, dachte sie, was hatten sie schon gemeinsam): Na und? Auch Ibsen war mal ein Kind,und Ionesco und Jean Cocteau und Tschechow waren auch mal Kind. »Kinder« korrigierte sie ihn sofort, nur darauf lauernd, ihn bei irgendeinem Fehler zu ertappen, ihm gegenüber recht zu haben, und wenn auch nur mit einem Wort, und er sagte, nein, sie waren mal Kind, sie waren alle das gleiche Kind.
    In einer scharfen Bewegung drehten sich ihre Köpfe voneinander weg. Jeder von ihnen umarmte sich fest, Ora dachte, als flackerte unter ihr eine Feuerzunge: Was ist das für ein superarroganter Typ, so was hat sie im Leben noch nicht gesehn, der hat die Arroganz eines Erwachsenen. Was hat sie am Anfang an dem so fasziniert, als sie diesen Waschlappen gesehen hat, diesen Verlierer, der keinem gefährlich werden konnte, Modell älterer Teddybär, und was waren ihre Gefühle und Empfindungen für ihn denn wert? Die Mädchen hatten schon recht: Sie hatte null Intuition. Ilan seufzte am Ende des Zimmers im Schlaf und murmelte unverständliche Worte. Sie versuchte, hinzuhören und herauszubekommen, ob er ihren Namen sagte. Ob er rausließ, was ihm vorher mit ihr passiert war, als Avram sich verdrückt hatte. Sie durfte jetzt nicht an ihn denken. Zu viele Dinge stürmten gleichzeitig auf sie ein. Solche Verwicklungen waren nichts für sie. Das passte nicht zu ihr, so eine war sie nicht. Wirklich nicht? kicherte in ihr plötzlich ein Teufelchen, so eine nicht? Nach dem, was du vorhin mit ihm gemacht hast? Schätzchen, bist du naiv.
    Er hatte ihr gesagt, er werde sterben. Er wisse, dass es so kommen werde, dass es so kommen müsse. Seit seiner Geburt habe er gewusst, dass er nicht lang leben werde, denn er habe nicht genug Lebenskraft. Das hatte er gesagt, und sie hatte

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