Eine Frau flieht vor einer Nachricht
sollte jetzt jeder sein eigenes Zimmer bekommen, davon haben wir schon vor einem Jahr gesprochen. Doch sie weiß, wie Adam das auffassen würde, und bestimmt würde auch Ofer diesen Vorschlag im Moment entschieden ablehnen.
Mit Ofers Hilfe wird das Aufräumen zu einem Spiel. Zu jedem Stück, das sie aus dem Haufen zieht, stellt sie Fragen, und Adam und Ofer antworten. Sie lachen. Adam nur ein bisschen, mit verkrampften Kiefern, denn jedes Lachen verlangt von ihm eine Reihe von Bewegungen, die vermutlich die Wirkung des Lachens wieder aufheben sollen. Zwei Stunden sitzt sie auf dem Boden im Kinderzimmer und erforscht die »materielle Kultur« der Kindheit ihrer Söhne. Spiele, die sie schon jahrelang nicht mehr spielen, Malblätter und Arbeitsblätter, verknitterte Schulhefte, leere Batterien, alte Wahlzettel, die Ora mal aus der Wahlkabine für sie mitgehen ließ, Alben mit den Fotos von Fußballspielern und Fernsehstars, abgetragene Turnschuhe, Teile von Legoschlössern, verschiedenste Talismane, Boglins und andere rundliche Monster, die früher ihre Welt bevölkerten, Waffen und Versteinerungen, zerrissene Poster, Handtücher und Socken mit Löchern. Es gibt Spielsachen und Spiele, von denen sie sich nicht trennen wollen, und sie sind ernsthaft beleidigt, wenn sie vorschlägt, sie an andere Kinder weiterzugeben, die kaum Spielzeug haben. So erfährt Ora zum ersten Mal von der komplizierten emotionalen Beziehung ihrer beiden Söhne zu einem abgewetzten Wollbären, von dessen Bedeutung sie nichts ahnte, zu einer besonders widerlichen Gummischlange oder zu einer kleinen kaputten Taschenlampe, eine Erinnerung an nächtliche Abenteuer, von denen sie hinter der geschlossenen Tür nichts geahnt hatte, wenn sie dachte, die beiden schliefen.
Nach und nach wird das Zimmer, trotz der Kämpfe und des Feilschens um jedes alte Spielzeug oder das mottenzerfressene T-Shirt einer spanischen Fußballmannschaft, wieder geräumiger. Volle Plastiksäcke werden einer nach dem anderen zur Tür getragen, um weggegeben oder weggeworfen zu werden. Sie hat den Eindruck, dass Adam erleichtert ist, seine Bewegungen werden runder und schon fast entspannt. Er läuft im Zimmer auf und ab, ohne sein Gehen und Redendurch irgendwelche Gesten zu unterbrechen, braucht keine Kommas oder Punkte durch Ellbogen oder Knie, und als das gemeinsame Unternehmen schließlich abgeschlossen ist und Ora aufsteht, um allen telefonisch eine Pizza zu bestellen, kommt er von sich aus zu ihr und umarmt sie weich und schlicht.
Doch die Pause dauert nur ein paar Minuten, nicht länger. Erinnerst du dich, wie Ilan immer sagte: »Jede Freude ist verfrüht«? Das ist nicht von Ilan, sagt Avram und springt auf, das ist von mir. Von dir? Natürlich! Weißt du nicht mehr, wie ich … Die goldene Hündin hebt den Kopf von ihren Pfoten und schaut ihn fragend an. Ora bemerkt den kleinen Sturm, der ihn packt, und fragt: Dass er dir das genommen hat, darüber regst du dich auf?
Nach der Pause zieht es Adam wieder zum Wasserhahn, um sich den Mund zu spülen und die Hände zu waschen; man sieht beinahe die Fäden, auf denen er balanciert, und Ora fällt in eine noch unerträglichere Verzweiflung. Einen Moment bevor alles, was sich in ihr angestaut hat, aus ihr herausbricht, legt sie das Pizzadreieck aus der Hand, verlässt Ofer und Adam, die sich, wie üblich, schon wieder angeregt unterhalten, geht in Ilans Arbeitszimmer, setzt sich dort an den Tisch und lässt den Kopf auf die Quittungen sinken.
Ein schwerer Schatten breitet sich in ihrem Kopf aus. Sie möchte Ilan anrufen, damit er früher von der Arbeit kommt. Er soll kommen und sie in den Arm nehmen, denn sie beginnt zu fallen. Was rennt er draußen rum, während hier alles auseinanderbricht. In letzter Zeit ist er kaum noch zu Hause, steht morgens noch vor den Jungs auf und kommt um Mitternacht zurück, wenn sie schlafen. Wo bist du? Warum sind wir beide so gelähmt? Wie kommt es, dass wir so schnell zerbrechen? Warum wirkt das alles wie ein Fluch, der jahrelang geduldig gewartet hat – die Rache einer bösen Fee, die nicht zum Geburtstag eingeladen wurde –, um uns ausgerechnet dann zu treffen, wenn es uns gerade gutgeht? Aber sie hat nicht die Kraft, den Hörer abzunehmen.
Wir vernachlässigen ihn, sagt sie Ilan spät abends im Wohnzimmer. Sie liegt erschöpft auf dem Teppich, er liegt ihr gegenüber auf dem Sofa, seine langen Beine hängen über die Lehne. Schlapp und müdesieht er aus. Sag mir, was mit uns los ist,
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