Eine Frau flieht vor einer Nachricht
zwischen zwei Schritten, dort das Geflüster des Zerfalls. So schaut ihr Sohn mit offenen Augen in die Welt, und er sieht vielleicht das, was man nicht sehen darf: Dass auch er selbst sich auflösen und zu dem Staub werden kann, von dem er genommen ist. Wie schwach die Kraft ist, die ihn zusammenhält.
Sie geht zurück zu Ilan und setzt sich neben ihn, und der schließt schnell die Arme um sie, schmiegt sich mit merkwürdigem Eifer und auch, wie sie meint, mit einer gewissen Ehrfurcht an sie.
Was, fragt Ilan kaum hörbar, was hast du da gespürt?
Sie antwortet nicht, fürchtet sich aufzuwachen, dieser Moment, in dem sie Adam erkannt hat, darf nicht verschwinden, er darf nicht entfliehen wie ein Traum.
Ora gähnt und sieht – mit einem gewissen Vergnügen –, wie sehr Avram, ohne es zu merken, an ihren Lippen hängt. Können wir morgen weitermachen, bittet sie, und er, der eigentlich noch mehr hören will, steht auf und räumt die Reste des Abendessens zusammen, sammelt den Abfall, spült das Geschirr und rollt seinen Schlafsack nicht weit von ihrem aus. Das alles tut er schweigend, sie sieht die rastlosen Fragen und Gedanken hinter seiner Stirn und sagt sich, morgen, lieber morgen, und schlägt sich in die Büsche, um ihr Geschäft zu verrichten; sie denkt ein bisschen über Scheherazade nach, dann ziehen sie sich beide, die Rücken zueinander aus, kriechen in ihre Schlafsäcke und liegen mit offenen Augen neben dem knisternden Feuer, doch Avram ist unruhig, steht auf, füllt zwei Flaschen mit Wasser aus dem Fluss, löscht die glühenden Kohlen und legt sich wieder hin.
Und da, sobald das Feuer erloschen ist, erwachen auf einen Schlag alle Tiere im Wadi, die bis zu diesem Moment beinah geräuschlos waren, und ein Chor aus Fröschen und Nachtvögeln, Schakalen, Füchsen und Grillen bricht in eine ohrenbetäubende Kakofonie aus. Jaulen, Schreien, Schnarchen, Krähen und Sägen. Ora und Avram liegen da, haben den Eindruck, dass der kleine Fluss lärmend um sie herumfließt, kleine und größere Tiere schweben an ihnen vorbei oder krabbeln über ihre Gesichter, und Ora flüstert, was ist das, und Avram flüstert,die sind alle verrückt geworden, und die Hündin steht auf und steht unruhig da, ihre Augen glänzen im Dunkeln. Jetzt müsste Avram zu ihr kommen, sich zu ihr legen, selbst wenn er bloß ihre Hand hielte, sie mit einem Streicheln beruhigte, mit langen, ruhigen Atemzügen, so wie Ilan früher, aber sie sagt kein Wort, sie wird ihn nicht drängen, und von sich aus unternimmt er nichts, nur die Hündin nähert sich ihr vorsichtig, einen Schritt nach dem andern, bis sie schließlich neben ihr steht. Ora streckt die Hand aus und streichelt ihr Fell im Dunkeln, und das Fell zittert vor Spannung, wegen der Geräusche ringsherum, oder wegen der Berührung durch Menschenhand, die erste Berührung nach wer weiß wie langer Zeit. Ora streichelt sie immer weiter, genießt es, krault sie, spürt die Körperwärme, doch plötzlich schreckt die Hündin zurück, als könne sie es nicht länger ertragen, geht ein paar Schritte weiter weg, legt sich hin und schaut Ora hechelnd an.
So liegen sie alle drei da, stumm und ein bisschen ängstlich, der Lärm flaut langsam ab, nun erhebt sich das Summen der Mücken. Blutrünstig und frech stechen sie in jedes Stück nacktes Fleisch; Ora hört, wie Avram sich ohrfeigt und flucht, rollt sich in ihren Schlafsack ein, zieht ihn bis übers Gesicht zu, lässt nur ein kleines Loch zum Atmen und versinkt in sich selbst; dabei rückt sie den Kopf so zurecht, dass er da ruhen kann, wo sie ihn am liebsten hat, in Ilans Achselhöhle, und da erwacht in ihr wie das Sprudeln einer kleinen Quelle die Sehnsucht nach ihrem Haus in Ejn Karem, das Haus von Ilan und ihr, mit den Gerüchen in seinen Wänden und den verschiedenen Lichtmustern, die die Fenstergitter zu den verschiedenen Tageszeiten auf die Scheiben warfen, mit den Stimmen von Ilan und den Kindern, die zwischen den Zimmern hin und her fliegen. Sie geht langsam durch die einzelnen Zimmer.
Als Ofer in ihr aufsteigt, schiebt sie ihn vorsichtig zur Seite, sagt ihm, alles in Ordnung, er müsse sich keine Sorgen machen, sie mache, was getan werden müsse. Er brauche jetzt nicht an sie zu denken. Er solle auf sich selbst aufpassen, dort, und sie werde ihn von hier aus beschützen.
Ein paar Monate nachdem Ilan und sie sich getrennt hatten, war sie einmal in das leere Haus zurückgekehrt. Sie hatte in allen Zimmern Fenster und Läden
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