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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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aufgemacht, aus allen Hähnen das Wasser laufenlassen und den vertrockneten Garten gegossen, Staub gewischt, die Teppiche zusammengerollt, den Boden gefegt und dann sorgfältig gewischt. Fast einen ganzen Vormittag war sie dort gewesen, hatte sich nicht einen Moment hingesetzt oder ein Glas Wasser getrunken. Hatte das Haus geputzt, danach die Läden wieder vorgezogen, die Fenster geschlossen, das Licht ausgemacht und war gegangen.
    Dass es wenigstens sauber ist, hatte sie gedacht, das Haus hat doch keine Schuld daran, dass wir uns getrennt haben.
    Ora, das ist Avrams Stimme, sind sie sich ähnlich?
    Sie war schon fast eingeschlafen, und seine Frage lässt sie hochfahren.
    Wer?
    Die Jungs, heute. Sind sie sich ähnlich? Ich meine, einer dem andern, in ihrem Wesen …
    Sie setzt sich auf und reibt sich die Augen. Er sitzt in seinen Schlafsack gehüllt.
    Entschuldige, hab ich dich geweckt?
    Nicht schlimm, ich war wohl gerade eingeschlafen. Aber wie kommst du plötzlich darauf … Ihre Zunge fährt noch mit Wonne über sein »die Jungs«. Als hätte er endlich ihre Perspektive übernommen, sogar ein bisschen ihren Tonfall, wenn sie an sie denkt. Sie beobachtet ihn wohlwollend. Für einen Moment scheint es möglich: Onkel Avram.
    Machen wir vielleicht noch einen Tee?
    Willst du einen? fragt er und steht schnell auf, läuft los, um ein paar Äste zu sammeln. Sie hört, wie er sich an einem Strauch stößt, etwas sticht ihn, er flucht, rutscht im Wasser aus, entfernt sich von ihr und kommt wieder näher. Sie reißt sich zusammen, um nicht loszulachen.
    Ja und nein, sagt sie später, als der Teebecher ihr Hände und Gesicht wärmt. Sie sehen völlig unterschiedlich aus, das hab ich dir schon gesagt, aber andererseits ist es unverkennbar, dass sie Brüder sind, auch wenn Adam eher …
    Eher, was?
    Sie hält inne. Hat Angst, sie könne jetzt, bei dem schwierigen Verhältnis, das sie gerade zu Adam hat, allerlei überflüssige Vergleiche zwischen Adam und Ofer anstellen, die nicht fair wären, und ausgerechnet sie …
    Aj, seufzt sie tief, und die Hündin hebt den Blick, kommt zu ihr und setzt sich neben sie.
    Was, fragt Avram sanft, woran hast du gedacht?
    Warte kurz.
    Ausgerechnet sie, deren Mutter sie immer, auch im Beisein völlig fremder Personen, mit anderen verglich, wobei sie natürlich fast immer schlechter wegkam, ausgerechnet sie, die sich schon in jungen Jahren geschworen hatte, wenn sie einmal Kinder haben würde, sie niemals im Leben …

    Ora? Avram fragt vorsichtig nach, hör mal, wir müssen nicht unbedingt.
    Nein, das ist okay. Gib mir nur noch einen Augenblick.
    Und doch hatte sie mit Ilan viel Zeit damit zugebracht, die Söhne miteinander zu vergleichen, es wäre unnatürlich gewesen, das nicht zu tun.
    In den ersten Jahren, bricht es nun aus ihr heraus, was mich in den ersten Jahren mit Ilan so bedrückt hat, was ich wirklich nicht ertragen konnte, war, wie er die Jungs angeschaut hat. Mit seinen genauen, objektiven Definitionen, du kennst ihn ja … Und ob, brummt Avram, ich kenne diese Seite von Ilan, wenn der Rationalist sich ereifert. Ah, genau das ist es, sagt sie lachend und krault mit der linken Hand den Kopf der Hündin.
    Ilans Definitionen, denkt sie, mit denen er Adams und Ofers Charakter, ihre Stärken und Schwächen auf den Punkt brachte und damit quasi ihr Urteil für die Zukunft festschrieb, ohne die Möglichkeit eines Einspruchs oder einer Veränderung, die mit dem Erwachsenwerden kommen würde, auch nur zu bedenken. Erst Jahre später, sagt sie – sie merkt, auch darüber kann sie mit Avram bereits reden und meint, dass er sie versteht –, erst viel später habe sie begriffen, dass sie diese Definitionen durch nicht minder kluge und klare Aussagen durchaus widerlegen konnte, mit einem unabhängigen, nüchternen Blick, der ihre Söhne in ein weicheres und versöhnlicheres Licht rückte, und dann sah sie auch, mit welcher Erleichterung und sogar Freude Ilan ihr zustimmte und ihre Sicht übernahm, so dass sie manchmal meinte, auch ihn selbst damit vor irgendetwas zu retten.
    Kannst du mir sagen, warum er so ist?, fragt sie Avram, du hast ihn doch so gut gekannt – fast hätte sie gesagt: vielleicht sogar besser als ich –, dann erklär mir doch, warum kämpft er immer so gegen sich selbst, gegen seine Weichheit, seine Zartheit, warum muss er immer eine geballte Faust sein?
    Avram zuckt mit den Schultern. Mit mir, sagt er, war er nie so.
    Ich weiß, mit dir nicht.
    Sie schweigen. Die Zikaden

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