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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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woanders her. Jetzt ist es mehr die Freundschaft zwischen uns, und das ist gut, das ist prima so, aber damals war es wie eine Droge. Eine richtige Droge.
    Und was bereuen Sie?
    Idith: Ich bereue nichts.
    Lami: Unsinn, und was ist mit der Reise?
    Idith (lacht): Sehn Sie, Lami kennt mich besser, als ich mich selbst … Na gut: Da gibt es ein fehlendes Glied in meinem Leben, das ich gern noch hinzufügen würde: Dass ich nach dem Militär nicht den Rucksack genommen habe und losgezogen bin, dass ich nicht das große Abenteuer meines Lebens unternommen habe. Einfach völlig frei durch die Welt zu gehn und zu sehen, was Gott geschaffen hat, nämlich die Welt. Das war’s. Und jetzt bist du dran, Lami. Ich will doch mal hören, was du so bereust.
    Lami: Wenn ich bereuen würde, dann würde ich ja zugeben, dass ich etwas nicht richtig gemacht habe.
    Idith: Trotzdem.
    Lami: Ich sage etwas, was ich nur sehr ungern selber höre: Ich bereue den Tag, an dem ich mich entschlossen habe, nach Israel zu kommen.
    Idith: Wie bitte?!
    Lami (erschrickt): Dann würde ich ja auf mein ganzes Hiersein, verzichten, auf all die Jahre und auf alles, was ich hier bin.
    Idith: Aber Lami!
    Lami: Warte, warte, schau her, auf der einen Seite erlaube ich mir nicht, das zu sagen – aber wenn ich mir mein Leben hier anschaue, die ganzen Kriege, dann sag ich mir, dass ich vor dreißig Jahren hierher gekommen bin, das hat mir so viel Schmerzen und Schweres gebracht, das Leben ist so hart.
    Idith: Lami, ich bin wirklich …
    Lami: Aber man lebt nur einmal, nicht wahr? Und hier bei euch ist das so schwer.
    Idith: Ich … Nein, ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich bin einfach … Und was heißt »bei euch«?
    (Ab hier habe ich nicht mehr mitgeschrieben. Es machte mich verlegen. Lami versuchte zu mildern, was sie gesagt hat, und zählte das Positive auf, die Menschen, die sie hier hat und die sie in Holland nie haben könnte, aber Idith saß da und schwieg. Obwohl wir danach noch über andere Dinge geredet haben, wurde es nicht mehr wie vorher.)

    Der Mann aus dem Nachal Kedesch hatte einige Zeilen bis zum Ende der Seite freigelassen, und Ora quetscht mit kleiner Handschrift da hinein:
    Tausende von Minuten, Stunden und Tage, Millionen Dinge, unendlich viele Taten, Versuche, Fehler, Gespräche und Gedanken – das alles, um einen einzigen Menschen zu bilden.
    Sie liest es Avram vor. Er sagt sofort, es wird gutgehn, du wirst sehen, wir sorgen dafür, dass alles gutgeht.
    Glaubst du wirklich?
    Ich glaube, dass du wie immer genau weißt, was du tun musst.
    Nach einer Pause sagt er, zeig mir das mal kurz. Sie gibt ihm das Heft. Er hält es vorsichtig in der Hand, liest sich selbst leise vor: » Tausende von Minuten, Stunden … unendlich viele Taten … Fehler … das alles, um einen einzigen Menschen zu bilden.«
    Er legt das Heft auf die Knie und schaut Ora an, in seinen Augen zieht eine dunkle Wolke auf.
    Und schreib du noch etwas dazu, sagt sie, ohne ihn anzuschauen, und gibt ihm den Kuli: »Einen Menschen, der so leicht zu zerstören ist«, schreib das.
    Er schreibt.

    Komm, wir rechnen mit doppelten Klammern. Weißt du, wie das geht?
    Man fängt mit den eckigen Klammern an und macht mit den runden weiter?
    Sieh mal, wir machen es nach dem Beispiel da. Die machen es dir vor.
    Aber das sind so viele Zahlen … Vielleicht rechnest du das für mich, Mama?
    Wie willst du es lernen, wenn ich es für dich mache?
    Hast du kein Mitleid mit einem armen Kind?
    Es reicht, jetzt hör auf mit deinem schlauen Geschwätz, setz dich gerade hin, du bist ja schon fast auf den Boden gerutscht.
    Ich kann das noch nicht mal lesen!
    Jetzt heul nicht.
    Ich heul ja gar nicht.
    Glaub mir, ich hab genug anderes zu tun, als dir mehrgliedriges Rechnen beizubringen.
    Sind die Artischocken schon fertig?
    Warte, noch einen Moment, die brauchen noch ein bisschen.
    Der Geruch macht mich ganz verrückt.
    Wisch wenigstens den Tisch ab, wenn du die Hausaufgaben schon in der Küche erledigst. Du machst dir nur Flecken ins Heft. Bis wohin hast du auf?
    Bis Seite 161. Das ist eine riesige Prüfung. Das schaff ich nie.
    Nun komm, wir machen zuerst diese Gleichungen. Lies, jetzt starr nicht so, lies schon.
    Mensch …
    Ich bin ein Mensch, nun lies schon!
    »Was – verbindet – zwischen den 2x und der 3?«
    Also, was verbindet? Lass bitte die Finger vom Kuchen!
    Woher soll ich das wissen? Ich versteh nicht, was hier steht. Ist das überhaupt Hebräisch?
    Komm, wir fangen mit den inneren

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