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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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gehört, fuhr mit dieser gepressten Stimme fort, mir kannst du das nochmal antun, ich könnte das aushalten, aber Adam würde zerbrechen, der würde daran kaputtgehen, und das lass ich nicht zu.
    Ilan sagte noch einmal, dass er bleibe, hörte aber auf, ihre Schulter zu streicheln, und Ora lag, ohne sich zu rühren, da und maß den Abstand ihrer Haut zu seiner Hand, die reglos über ihr hing, und Ilan dachte, streichel sie, berühr sie doch, und Ora wartete, dann nahm sie schwerfällig ihren Körper zusammen und wandte sich von ihm ab.

    Als später die nächste Welle der Angst anrollte, lag sie in seinem Arm, sein Bauch drückte sich in ihren Rücken, sein Kopf grub sich in ihren Nacken. Ich habe Angst vor ihm, murmelte er in ihr Haar, verstehst du? Angst vor einem Baby, das noch gar nicht geboren ist.
    Was denn, erzähl mir, rede mit mir.
    Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, als habe er schon eine festgefügte, erwachsene Persönlichkeit.
    Ja, sagte sich Ora innerlich lächelnd, das Gefühl hab ich auch.
    Und dass er alles weiß.
    Worüber?
    Über mich, über uns, und was passiert ist.
    Ihre Finger schlossen sich fester um sein Handgelenk. Du hast ihm nichts Böses getan. Avram hast du immer nur Gutes getan.
    Ich habe Angst vor ihm, flüsterte Ilan und presste sich noch enger an sie, was werde ich fühlen, wenn ich ihn das erste Mal sehe, ich habe Angst, dass er ihm ähnlich sein wird.
    Noch schlimmer wäre es, dachte er, wenn er irgendwie ihnen beiden ähnlich sähe. Eine Mischung von ihm und ihr. Jedes Mal, wenn ich ihn anschaue, würde ich sehen, wie ähnlich sie einander im Grunde sind.
    Und sie dachte an den kleinen Adam, der weder ihr noch Ilan geähnelt hatte, und manchmal im Gesicht und in seinem Blick sogar etwas von Avram gehabt hatte.
    Sag mal, flüsterte er in ihren Nacken, findest du nicht, dass wir ihm ein bisschen von seinem Papa erzählen sollten? Damit er weiß, woher er kommt?
    Ich erzähle ihm die ganze Zeit.
    Wie?
    Wenn ich nicht einschlafen kann.
    Dann redest du mit ihm?
    Dann denke ich zu ihm hin.
    Worüber?
    Über Avram, über uns, damit er es weiß.
    Seine Hände wühlten in ihrem Haar, ihr Kopf drückte sich noch fester in seine Hand. Der Geruch ihres Kopfes war in der Schwangerschaft noch stärker geworden. Ilan mochte diesen Geruch, auch wenn er ein bisschen unangenehm war, und vielleicht gerade deshalb, so herb und bäuerlich, der Geruch ihres unkomplizierten Körpers. Hier ist Zuhause, dachte er und spürte ein leichtes Beben in seiner Wurzel.
    Sie lächelte vor sich hin, drückte ihm ihren Hintern entgegen: In der zehnten Klasse, glaub ich, hab ich ihm geschrieben, ich hätte das Gefühl, auch wenn wir nicht so Freunde sein würden, nicht so ein Paar, wie er es will, würden wir trotzdem das ganze Leben zusammenbleiben, egal wie, wir würden für immer zusammenbleiben. Und er schickte mir postwendend ein Telegramm, du weißt doch, seine Telepfunde – Ilan lächelte in ihrem Nacken –, er habe sich seit er diesen Brief von mir bekommen habe, eine Rose ans Revers gesteckt, und wenn man ihn frage, was er feiere, sagte er, ich habe gestern geheiratet.
    Ich erinnere mich, sagte Ilan, eine rote Rose.
    Sie schwiegen. Sie streichelte sanft seine Finger. Seit Avrams Rückkehr waren nicht einmal mehr Fingernägel eine Selbstverständlichkeit.
    Ich will, dass wir leben, Ilan.
    Ja.
    Unser Leben, meine ich, deins und meins.
    Natürlich, ja.
    Ich möchte endlich aus diesem Grab heraus.
    Ja.
    Wir beide.
    Ja.
    Du und ich, meine ich.
    Ja, klar.
    Dass wir anfangen zu leben.
    Ora …
    Wir können doch nicht unser Leben lang für einen Moment bezahlen …
    Ja.
    Und für ein Verbrechen, das wir nicht begangen haben.
    Ja.
    Wir haben nichts verbrochen.
    Stimmt.
    Ist dir klar, dass wir nichts verbrochen haben?
    Ja, natürlich.
    Warum glaube ich dir das nicht?
    Mit der Zeit wird das schon kommen, nach und nach.
    Umarm mich, fest, vorsichtig …
    Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihren enormen Bauch. Seine Hand zuckte zurück, kletterte dann, verlegen wegen dieses Zurückschreckens, den Bauch wieder hinauf und sogar höher, als sie es gemeint hatte. Ora lag da und bewegte sich nicht, Riesenbrüste waren ihr in den letzten Monaten gewachsen, so empfand sie es, gewaltige Früchte wie von einem Flusspferd, eine Karikatur dessen, was sie früher gewesen waren. Ihr war es unangenehm, dass er sie berührte. Die Haut war so gespannt, dass es weh tat. Wenn er drückte, würden sie aufplatzen. Sie nahm seine

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