Eine Frau flieht vor einer Nachricht
glaubte, sie am Schlüsselbrett hängen zu sehen, aber vielleicht waren es auch andere. Noch ein ungeduldiges Klingeln. Sie sind zu Hause, sie sind beide hier, wollte Ora sich einreden, sie schlafen, das kann nichts mit ihnen zu tun haben. Vielleicht haben sie im Auto das Licht angelassen, und ein Nachbar will es uns sagen, oder jemand hat in unser Auto eingebrochen – das konnte sie akzeptieren, das würde sie sofort unterschreiben –, noch ein kräftiges Klopfen, beide rührten sich nicht vom Fleck, als wollten sie verheimlichen, dass sie existierten.
Plötzlich bekam alles den merkwürdigen Anschein einer Generalprobe, einer Übung, einer Vorbereitung auf das, was immer lauerte, doch sie waren noch nicht in der Lage, ihre Rolle zu spielen. Ilan stützte sich mit einer Hand auf die Tischplatte. Sie sah, dass er in den letzten Jahren, in denen die Jungs einer nach dem anderen ihren Militärdienst leisteten, nicht nur erwachsen geworden war – er war gealtert. Das eingefallene Gesicht eines Mannes, der sich beinah geschlagen gibt. Sie las darin, was er dachte. Die süße Illusion, in der sie bisher gelebt hatten, war zerplatzt, ihre private Untergrundzelle aufgeflogen, nach zwanzig Jahren, schwebend am Rande des Abgrunds; sie hatten ihn immer gesehen, und jetzt fallen sie, fallen endlos, und das Leben wird vorbei sein. Das Leben von früher wird vorbei sein.
Sie wollte zu ihm hingehen, wie immer bei ihm Zuflucht suchen, aber sie konnte sich nicht rühren. Noch ein ohrenzerreißendes Klingeln, und für einen Augenblick machte Ora die merkwürdige Erfahrung,dass zwei völlig unterschiedliche Dimensionen der Wirklichkeit miteinander verschmolzen, in der einen schliefen Adam und Ofer friedlich in ihren Betten, in der anderen kamen die Überbringer vom Militär mit der Nachricht. Beide Wirklichkeiten waren greifbar, sie widersprachen sich auch nicht, und sie hörte Ilan murmeln, mach auf, warum machst du nicht auf? Und Ora sagte mit einer Stimme, die nicht ihre war, aber sie sind doch beide zu Hause, oder? Er zuckte hilflos und ergeben mit den Schultern, als sage er ihr, selbst wenn sie diesmal zu Hause sind, wie lange werden wir es schaffen, sie zu beschützen? Und Ora fragte sich plötzlich: aber wer von beiden? Wie eine Nadel bohrte sich in ihr dumpfes Bewusstsein die Erinnerung an die Lose, nimm eine Mütze und tu zwei Zettelchen rein, zwei gleiche, schreib die Namen drauf. Was hast du gezogen? Ora ging zur Tür, machte auf, zu ihrem Entsetzen standen da tatsächlich zwei Uniformierte, sehr jung und verlegen, von der Militärpolizei, ihr Blick raste weiter, suchte den Arzt, der die Überbringer der schlechten Nachricht immer begleitet, aber sie waren nur zu zweit. Einer hatte sehr lange Wimpern, wie eine weiche Bürste, bemerkte sie, achtete wieder auf unwichtige Details, die hatten nichts mit Überleben zu tun; um in diesem Land zu überleben, braucht man schärfere Instinkte; und der andere, dessen Gesicht voller Aknenarben war, hielt ein getipptes Dokument mit einem großen Stempel in der Hand und fragte, ob Ofer zu Hause sei.
Zwei Frauen, etwa in meinem Alter, eine klein, die andere groß. Die kleine ist Israelin, die große, eine Holländerin, kam vor dreißig Jahren hierher, hat sich in einen Israeli verliebt und ist geblieben. Ich trinke mit ihnen auf einer Wiese einen Kaffee. Sie sagen mir, sie seien engste Freundinnen.
Idith: Ich sehne mich nach meiner Vitalität, als ich jung war … Ich tanze unheimlich gern, nicht so in Reihen, nicht in Gruppen! Das ist nichts für mich. Ich tanze Tänze, die ich selbst erfinde, und es macht mich wahnsinnig, dass ich, je älter ich werde, diese Fähigkeit, beim Tanzen aufs Ganze zu gehen, ein bisschen verloren habe. Auch der Körper ist nicht mehr, was er mal war, und ich habe zu viel Selbstkritik. Ich stehe vor dem Spiegel und fühle mich von innen schön – warum zeigt der beschissene Spiegel mir dann etwas so anderes? Und ich sag zu der Friseuse bei uns, mach mir welliges Haar, wie bei den romantischen Schauspielerinnen von früher, und dann schau ich mich an und begreife – das ist vorbei, das kommt auch nicht mehr zurück, das kann ich nicht aus mir machen.
Lami: Ich denke, da ist noch etwas anderes: Früher waren die Kinder einfacher. Nicht wie heute. Kinder waren einfach.
Idith: Und ich sehne mich auch nach der Zeit, als ich in meinen Mann verliebt war. Sieben Jahre lang war ich wie auf Prozac. Ich bin zwar immer noch verrückt nach ihm, aber das kommt
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