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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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zugehört hatte. Am Anfang, erzählte er, habe er sich kaum beherrschen können, er wollte in die Küche gehen und Ofers Gejammer und diesem ganzen Zirkus ein Ende machen, natürlich habe er sich auch über Oras Nachgiebigkeit und Kompromissbereitschaft geärgert, sie habe seiner Meinung nach viel zu lange mit Ofers Verwöhntheit kollaboriert. Bei mir hätte das alles höchstens zehn Minuten gedauert, dann hätte Ofer die Aufgaben längst gelöst gehabt. Doch er habe gespürt, dass er sie mit seinem Einschreiten nur gegen sich aufbringen würde, und vielleicht habe ihn auch das Gefühl zurückgehalten, dass sie, auch wenn sie kämpften und stichelten, gar nicht unterbrochen werden wollten. Deshalb sei er liegengeblieben und habe ihnen gelauscht und innerlich diese Tausende von Dingen, von Gedanken und Momente gespürt, die Fehler und Handlungen, das geduldige Eins-zum-anderen-Fügen, und wie Ofer sich zwischen ihren schützenden Händen zu einem Menschenwesen bildete. Er habe gewusst, er selbstwäre nicht in der Lage, eine ganze Stunde mit Ofer dazusitzen und endlos dessen Frust, diese Aussichtslosigkeit und sein Lamento zu ertragen, und dies alles allmählich auf eine Lösung hin zu lenken.
    Ora hörte ihm zu. Es war spät am Abend, die Jungs waren in ihrem Zimmer, Ilan und sie lagen auf dem Sofa, seine Finger spielten mit dem weichen Haar in ihrem Nacken, und sie schmiegte ihr Gesicht an seinen Hals. Sie sagte, aber du beteiligst dich doch aktiv an ihrer Erziehung, ich kenne nicht viele Väter, die so sehr ins Leben ihrer Kinder involviert sind. Und er sagte, schon, aber als ich euch in der Küche gehört habe, ich weiß auch nicht – und sie unterbrach ihn, aber ihr ganzes Denken und ihr Humor, alles, was sie wissen, und ihr Scharfsinn, das bist doch alles du. Und er sagte, kann sein, keine Ahnung, das sind sicher wir beide, das ist wohl die Mischung von uns beiden. Er tastete nach ihrer Hand, seine Finger umschlossen ihre Finger. Ich habe immer das Gefühl, dass sie das, was sie von mir bekommen, auch irgendwo anders bekommen hätten, vom Leben, von anderen Leuten, aber das, was du ihnen gibst – dann machten die Finger seiner anderen Hand eine Bewegung, die für ihn ganz untypisch war, so als kneteten sie Teig.
    Avram schaut auf Oras Finger, die unwillkürlich Ilans Knetbewegung wiederholen, und er ist ihr unendlich dankbar, dass sie ihn teilhaben lässt, ihn die Wärme dieses mütterlichen Alltags miterleben lässt.
    Ora umarmte Ilan und schob ihr Knie zwischen seine Beine, wie er es mochte, und so lagen sie sich eine ganze Weile in den Armen, dann lächelte Ilan über ihrem Kopf. Und trotzdem, sagte er, ich hätte diesem Zirkus viel früher ein Ende gemacht. Und Ora lächelte an seinem Hals. Da bin ich mir sicher, mein Lieber.

Er seufzte wieder, sie streckte ein Bein aus, berührte seinen Fuß leicht, zur Ermutigung und zum Trost. Seit Beginn der Nacht lagen sie wach und schweigend im Bett. Ab und zu stieß einer von ihnen einen Seufzer aus, dann zog sich das Herz des anderen zusammen. Diesmal aber erwiderte er ihre Berührung, grub seine Zehen in ihr Fußgewölbe. Sie murmelte sanft, er zog die Nase hoch, sie flüsterte eine Silbe, er räusperte sich, da begann sie das schwerfällige Unternehmen, sich mit ihrem gewaltigen Bauch um die eigene Achse zu drehen, dann robbte sie näher an ihn heran, mit den ruckartigen Bewegungen eines Seehunds auf einer Sandbank, bis sie ihren Kopf in seine Armhöhle legen konnte, und fragte, warum schläfst du nicht? Und Ilan sagte, ich kann nicht, und sie, du bist unter Druck, und er, ja, ein bisschen, du nicht?
    Sie verließ ihr Nest in seinem Körper zwar nicht, war aber nicht mehr richtig dort. Sag mir, du planst nicht zufällig, nochmal abzuhauen? Nein, sagte er, wie kommst du denn darauf? Und sie, wenn du diesmal abhaust, das ist dir hoffentlich klar, gibt es kein Zurück mehr; nicht wie beim letzten Mal. Adam brabbelte nebenan im Schlaf, und Ilan dachte, früher hat ihre Stimme ihm gegenüber immer so etwas Jubelndes gehabt; niemand anders war je so strahlend auf ihn zugekommen, so freudig und arglos und voller Vertrauen wie ein Kind. Und während er über ihre frühere Zugewandtheit nachsann, hatte er das Gefühl, beinahe der zu sein, der er sein wollte, mehr noch, er glaubte, dieser Mensch nur zu sein, weil Ora glaubte, dass er dieser Mensch sein könnte. Er brummte, ich bleibe, Ora, ich geh nicht weg, wie kommst du bloß darauf? Und sie, als habe sie ihn nicht

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