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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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hinzu, und sein Blick sendete einen Lidschlag lang eine ihr bisher unbekannte Frequenz, und für einen Moment meinte sie: Er weiß Bescheid.
    Danach, erzählt Ora, saß er etwas steif da, als hätten seine eigenen Worte ihn überwältigt, stützte den Kopf wieder in die Hände, dann drehte sich Adam zu ihm um und umarmte ihn, richtig so, mit beiden Armen – Avram sieht sie, er sieht sie ganz genau –, und obwohl Adam neben ihm so klein wirkt, hüllte er ihn in diesem Moment richtig ein, und Ofers Kopf war gesenkt.
    Ofers schön geformter Kopf. Damals hat er ihn noch nicht rasiert. Sein Kopf mit dem hellen Schein in der Mitte, der noch heller wurde, wenn er sich die Haare schneiden ließ. Für einen Moment sah es aus, als rieche Adam an Ofers Haar, so wie er es nach dem Haarewaschen getan hatte, als Ofer ein Baby war.
    Ilan und ich schauten die beiden an, und ich hatte das Gefühl, und vielleicht auch Ilan, das habe ich ihn nicht gefragt …
    Was für ein Gefühl, fragt Avram nach.
    Als sie sich umarmten, da wusste ich plötzlich, dass sie zusammenbleiben, auch wenn Ilan und ich eines Tages nicht mehr da sein werden, sie werden sich nicht voneinander entfernen, werden sich nicht trennen, sich nicht fremd werden, und wenn nötig, werden sie einander helfen. Sie würden eine Familie sein, verstehst du?
    Sein Mund zog sich immer mehr in die Breite, zum Ausdruck eines gequälten Lächelns.
    Wo soll das alles enden, Avram? sie schaute ihn mit aufgerissenen Augen an. Was wird, wenn er …
    Erzähl mir, schreit Avram beinah, erzähl mir von ihm.

    Sie hatten eine wunderbare Rückfahrt vom Restaurant. Alle waren restlos zufrieden, die Jungs sangen unterwegs ein verrücktes Lied von Monty Python über einen muskulösen Holzfäller, der gern Damenwäsche trägt, und Ora nahm dieses angenehme Abweichen von ihrem üblichen Puritanismus wahr, es schien ihr, als zeigten sie damit, dass sie nun auch ihre Eltern für erwachsen hielten, zumindest so erwachsen wie sie selbst. Auf dem Rücksitz trommelten sie sich auf Knie, Bauch und Brust – Ofers breite Brust klang dumpf, und der Klang erregte sie –, und danach berieten sie sich, in welchen Pub sie jetzt gehen würden. Ora und Ilan wunderten sich, dass sie noch Kraft hatten, etwas trinken zu gehen, wo Ofer doch kaum die Augen offen halten konnte, und Ilan bat sie nur, bitte nicht zusammen in »jenen« Pub zu gehen, und erinnerte sie daran, dass vor einem Monat ein Terrorist mit einem Sprengstoffgürtel dort reingegangen war, und Adam und Ofer legten sich feierlich die Hand auf die Brust und versprachen, sie würden sich aufteilen, Ofer ginge in den Pub Hoffnung der Schahiden und Adam in den Klub der Heiligen der Hisbolla , und etwas später sagten sie, wir treffen wir uns auf dem Platz der siebzig Jungfrauen und ziehen ein bisschen um die Häuser bis zu einer Stelle, wo viele Leute auf einem Haufen sind, und suchen die orientalisch aussehenden Männer mit dem bohrenden Blick.
    Früh am nächsten Morgen – Adam und Ofer schliefen noch, sie waren wohl erst vor ein paar Stunden nach Hause gekommen – standen sie und Ilan in der Küche, noch etwas benommen vom Abend zuvor, wollten gleich zu ihrem Morgenspaziergang aufbrechen, doch zuvor bereiteten sie den Jungs noch einen Salat und stellten ihnen jemenitisches Jachnun mit harten Eiern und Tomatenpüree hin. Sie schälten Gemüse, schnitten es klein und unterhielten sich leise über den letzten Abend, über das, was Ofer zu Adam gesagt hatte und die großzügige Umarmung. Plötzlich ein vorsichtiges Klopfen an der Tür, und direkt danach ein energisches Klingeln.
    Ilan und Ora tauschten schnelle Blicke aus. Das war nicht logisch,aber dennoch, so ein Klingeln um diese Uhrzeit am Schabbat konnte nur eines bedeuten. Ora legte das Messer aus der Hand und schaute Ilan an, und Ilan schaute sie an und seine Augen wurden weit, ein unmenschliches, beinahe wahnsinniges Entsetzen blitzte in ihren Augen auf. Dann wurde alles langsamer, immer langsamer, bis es erstarrte. Sogar das klare Wissen erstarrte, das Wissen, dass Ofer und Adam zu Hause waren – aber womöglich auch nicht, im Grunde haben wir sie eine ganze Nacht nicht gesehen, und eine Nacht hier im Land war eine lange Zeit, vielleicht war etwas passiert, vielleicht hatte man sie dringend zurückbeordert, wir haben noch nicht einmal Nachrichten gehört, warum haben wir heute früh keine Nachrichten gehört?
    Oras Augen suchten die Autoschlüssel, die Adam am Abend mitgenommen hatte. Sie

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